Dass die Queen sich am Sonntagabend ans Volk richtete, ist bemerkenswert. Warum tat sie das? Es ist sehr aussergewöhnlich und ist in ihrer 68-jährigen Regentschaft, abgesehen von den Weihnachtsansprachen, nur drei Mal vorgekommen: 1991 zum Golfkrieg, 1997 zum Tod von Prinzessin Diana und 2002 nach dem Tod ihrer Mutter «Queen Mum».
Die Corona-Pandemie wird von vielen als die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg beschrieben – und in Zeiten von grossen Krisen wird vom Königshaus erwartet, dass es dem britischen Volk Hoffnung und Trost spendet. Dies gilt übrigens nicht für politische Krisen, die die Bevölkerung spalten, so wie Brexit dies tut. Solche Probleme sollen Regierung und Opposition ausfechten. Das Königshaus versucht über der Politik zu stehen, so dass sich die Menschen von links bis rechts mit der Queen und ihrer Botschaft identifizieren können. Wären übrigens die Umstände durch den Lockdown nicht so einschränkend, wären Prinz Charles, William und Kate die letzten Tage viel häufiger öffentlich aufgetreten, etwa in Spitälern.
An wen richtete sich die Queen im Speziellen? Die Queen will nicht die Nanny der Nation sein, deshalb ermahnt sie die Briten nicht, die Hände zu waschen. Das ist die Rolle der Regierung. Sie appellierte an britische Tugenden, wie Selbstdisziplin und stille, gutmütige Entschlossenheit. Die Regierung hofft, dass sie damit auch den Durchhaltewillen der Bevölkerung stärken kann. Denn es wird befürchtet, dass immer mehr Briten mit zunehmend schönem Wetter die Regeln brechen und raus gehen werden.
Die Queen mischt sich sonst nicht in die Politik ein. Nun hat man das Gefühl, dass sie mit diesem Auftritt ein Gegengewicht zum zumindest in den Anfängen eher «sorglosen» Umgang von Premier Boris Johnson gibt. Täuscht dieser Eindruck? Der Leistungsausweis der Regierung ist zurzeit nicht brillant. Premierminister Boris Johnson, der sich angesteckt hat, liegt mit Fieber im Bett. Anfangs Woche haben auch die sonst loyalen Zeitungen Johnson ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Heute nun schreiben sie, die Minister fetzen sich hinter den Kulissen, statt zusammenzustehen.
Dass die Queen nun sprach, hilft der Regierung, denn es lenkt von anderen Problemen ab. Es heisst, die Downingstreet sieht in der Queen die «Trumpfkarte», welche eben den Durchhaltewillen der Briten stärken soll.
Letztendlich war aber schon länger erwartet worden, dass die Queen eine Ansprache hält, weil sich das Vereinigte Königreich in einer nationalen Krise befindet. Die Frage war also eher «wann» und nicht «ob» sie spricht. Der Buckingham Palace wird auf Anfrage immer betonen, dass sie unabhängig von der Regierung agieren, um sich eben nicht dem Vorwurf auszusetzen, sich politisch auf eine Seite zu schlagen.