In der spanischen Region Katalonien steht eine entscheidende Wende an: Nach über zehn Jahren, zum Teil sehr heftigen Kämpfen für die Unabhängigkeit könnte wieder ein Nichtseparatist ins Regierungsgebäude der katalanischen Hauptstadt Barcelona einziehen: Am Donnerstag soll der Sozialist Salvador Illa vom Parlament zum Regionalpräsidenten gewählt werden.
Illa hat sich dafür die Unterstützung der bisherigen separatistischen Regierungspartei, der republikanischen Linken ERC, gesichert. Zu einem durchaus hohen Preis: Er hat Katalonien für die Zukunft deutlich mehr Autonomie zugesichert. So soll die Region einen Teil der Steuern eigenständig eintreiben dürfen – etwas, was heute noch der Zentralregierung Spaniens vorbehalten ist.
Puigdemont wittert Verrat
Dass die separatistische Linke mit der sozialistischen Partei zusammenspannt, ist in den Augen der anderen grossen separatistischen Partei, Junts, ein Verrat an der Sache. Die bürgerliche Junts ist die Partei von Carles Puigdemont. Er war bis 2017 Präsident der Region, liess damals die illegale Unabhängigkeitsabstimmung durchführen, setzte sich danach ins Ausland ab und lebt seither im Exil.
Nun aber hat er seine Rückkehr angekündigt. Er war bei den letzten Wahlen als Abgeordneter gewählt worden und will am Donnerstag im Regionalparlament bei der Wahl des neuen Präsidenten dabei sein. Das Problem dabei: Gegen Carles Puigdemont ist noch immer ein Haftbefehl in Kraft.
Was seine Verhaftung in Katalonien auslösen würde, ist nicht absehbar. Ob Puigdemont, der nach wie vor ganz auf Unabhängigkeit setzt, noch Massen zu mobilisieren vermag, ist allerdings fraglich.
Separatistische Parteien haben Mehrheit verloren
Denn es ist offensichtlich: Die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien schwächelt. Das zeigte die Parlamentswahl im Frühling deutlich. Damals erreichten alle separatistischen Kräfte zusammen weniger als die Hälfte der Stimmen – erstmals seit Jahrzehnten.
Viele Katalaninnen und Katalanen scheinen des Themas müde geworden zu sein. Besonders auch die Jungen. Das zeigt eine kleine Umfrage bei Studierenden der Universität von Girona. Die Provinzhauptstadt nördlich von Barcelona ist bekannt als Zentrum des Separatismus.
«Früher war ich klar für die Unabhängigkeit», sagt etwa Oriol, ein 21-jähriger Geografiestudent. Seine Familie und sein Umfeld hätten ihn wohl beeinflusst. Heute aber habe er keine klare Meinung mehr. «Ich denke, es gibt aktuell wichtigere Probleme.»
Wenn progressivere Parteien regieren, ist die katalanische Unabhängigkeitsbewegung schwächer.
Auch die 23-jährige Geschichtsstudentin Gladis ist – anders als vor ein paar Jahren – keine Verfechterin der Unabhängigkeit mehr. Vieles hänge aber davon ab, wer im spanischen Zentralstaat das Sagen habe, sagt sie. «Wenn progressivere Parteien regieren, ist die katalanische Unabhängigkeitsbewegung schwächer.»
Tatsächlich hat die linke Regierung unter Pedro Sánchez in den vergangenen Jahren einiges unternommen, um den Konflikt mit Katalonien zu entschärfen. Zuerst mit Begnadigungen und kürzlich mit dem Amnestiegesetz, welches allen Straffreiheit gewähren soll, die sich an der Organisation der Unabhängigkeitsabstimmung 2017 beteiligt hatten.
Für Gladis ist das ein guter Weg. Heute gebe es Raum für Dialog, und dafür, dass die Bedürfnisse der katalanischen Bevölkerung berücksichtigt würden, sagt sie. «Ich sehe nicht ein, warum man sich abspalten sollte, wenn man auch in Harmonie zusammenleben kann.»