Darum geht es: Radikale Abtreibungsgegner aus und im Umfeld der Pro-Life-Bewegung wollen in Polen die Sexualaufklärung für Jugendliche massiv einschränken. Der über eine Unterschriftensammlung lancierte Bürgergesetzesentwurf zielt auf Berufe, die in der Kinder- und Jugendarbeit tätig sind. Für das «Propagieren und Befürworten sexueller Handlungen» sollen Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren möglich werden. Es gehe einzig und allein um die Abschreckung pädophiler Täter, die den Zugang zu Kindern oft auch über ihre Berufe nutzten, begründen die Initianten.
Unklarer Geltungsbereich: Im Gesetzesentwurf wird zwar nicht der Sexualkundeunterricht an sich unter Strafe gestellt. Der Passus «Propagieren und Befürworten sexueller Handlungen» ist bewusst sehr allgemein gewählt und würde neben Lehrpersonen wohl auch Ärzte und Therapeuten betreffen. Viele Fragen bleiben offen: Ist es etwa bereits eine indirekte Propagierung, wenn im Sexualkundeunterricht den Jugendlichen beigebracht wird, wie man ein Kondom benutzt? Oder wenn ein Arzt ermöglicht, dass eine Minderjährige an die Antibaby-Pille kommt?
Die Haltung der Regierung: Die in den Wahlen siegreiche Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) unterstützt das Gesetzesprojekt. Eine erste Lesung im alten Parlament ist erfolgt, ohne abzustimmen. Die Vorlage werde im neuen Parlament weiterberaten und habe gute Erfolgschancen, sagt Jan Pallokat, ARD-Korrespondent in Polen. Allerdings sei die Partei PiS sehr flexibel und reagiere schnell auf eine Veränderung der Stimmungslage.
Die Kritiker: Die Opposition kritisiert, dass der Gummiparagraph dazu genutzt werden könne, um mit Strafrecht in den Sexualkundeunterricht hineinzuregieren. Ziel sei es, Angst und Schrecken zu verbreiten und eine rigide Sexualmoral durchzusetzen. Allerdings ist die Opposition seit Jahren sehr schwach und handelt oft nur reaktiv.
Ernster als die politische Opposition im Parlament muss die PiS die gut vernetzten Frauengruppen nehmen, die schnell mobilisieren und Proteste in den Hochburgen der Regierungspartei organisieren können, wie Pallokat sagt. Vor dem Parlament in Warschau versammelten sich diesmal erneut die bekannten Vorkämpferinnen, die 2016 erfolgreich die Verschärfung des Abtreibungsrechts verhinderten.
Sexualkunde im konservativen Polen: Es gibt ansatzweise einen Sexualkundeunterricht im Wahlfach «Erziehung zum Leben in der Familie». Dort wird aber laut Pallokat eher gelehrt, wie man ein gutes Familienmitglied und ein guter Patriot wird. Für höhere Jahrgänge gebe es sodann eine Art Sexualkunde, die gemäss Schilderungen sehr medizinisch-technisch und nicht besonders lebensnah ablaufe. Fragen wie der Umgang mit dem Körper, Gefühlen und Verlangen, Verhütung sowie der Schutz vor Krankheiten würden umgangen. Das Thema Sex werde auch in den Lehrmaterialen allgemein in ein eher negatives Licht gestellt.