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Sexualstrafrecht in Schweden «Das Machtgefälle wird nicht mehr hingenommen»

Ohne ausdrückliche Zustimmung kein Sex in Schweden. Über die Auswirkungen des Gesetzes berichtet Bruno Kaufmann.

Jede fünfte Frau in der Schweiz wird Opfer sexueller Gewalt, wie eine am Dienstag veröffentlichte Umfrage zeigt. Mit der Studie will die Menschenrechtsorganisation Amnesty eine politische Debatte zur Revision des Sexualstrafrechts anstossen.

Schweden kennt das Prinzip des beiderseitigen Einverständnisses, wenn zwei Personen miteinander Sex haben wollen, bereits. Welche Erfahrungen man damit macht, weiss Nordeuropa-Mitarbeiter Bruno Kaufmann.

Bruno Kaufmann

Nordeuropa-Korrespondent

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Bruno Kaufmann berichtet seit 1990 regelmässig für SRF über den Norden Europas, von Grönland bis Litauen. Zudem wirkt er als globaler Demokratie-Korrespondent beim internationalen Dienst der SRG mit.

SRF News: Welche Erfahrungen hat Schweden mit der neuen Regelung seit letztem Juli gemacht, wonach Sex als Vergewaltigung gilt, wenn nicht beide Seiten ihr Einverständnis dazu gegeben haben?

Bruno Kaufmann: Man kann bloss von ersten Erfahrungen sprechen. Das Gesetz hat eine neue Kategorie der grobfahrlässigen Vergewaltigung eingeführt – dies im Gegensatz zur absichtlichen Vergewaltigung mit Gewaltanwendung. Bisher gibt es zu solchen Fällen drei Urteile, die derzeit vor dem höchsten Gericht hängig sind. Dieses muss entscheiden, wo im Einzelfall die Abgrenzung liegt.

Die schwedische Gesellschaft verlangt mehr Rücksicht, Verantwortung und Respekt.

Hat das Gesetz den Umgang der Menschen in Schweden verändert?

Es ist eher so, dass der Umgang der Menschen zur Gesetzesänderung beigetragen hat. Das gesellschaftliche Klima ist heute so, dass ein Machtgefälle früherer Zeiten, auch im sexuellen Umgang miteinander, nicht mehr hingenommen wird. Es wird nach mehr Rücksicht, Verantwortung und Respekt verlangt. Nun wurde versucht, dies in das Gesetz zu giessen.

Wenn in Schweden ein Paar zusammen schlafen will, müssen dazu beide deutlich Ja sagen. Wie beweist man im Nachhinhein, dass es dieses gegenseitige Einverständnis gegeben hat?

In den konkreten drei Fällen geht es eher um das Verhalten rund um die sexuelle Handlung herum. Das hat Konsequenzen für beide Seiten, indem vor Gericht entsprechende Fragen gestellt werden. So gibt es einen Fall, in dem sich ein Mann und eine Frau über eine Dating-App kennenlernten, woraufhin sie sich zuhause trafen. Dort küssten sie sich. Das verstand der Mann als Einladung für weitergehende sexuelle Handlungen, die Frau aber nicht. Der Mann wurde nun vorinstanzlich zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

Die gesellschaftliche Akzeptanz für das verschärfte Sexualstrafrecht ist sicher gegeben.

Hat das neue Gesetz in Schweden dafür gesorgt, dass es weniger Sexualdelikte gibt?

Nein, im Gegenteil. Die Diskussion um die Verschärfung des Sexualstrafrechts hat zu viel mehr Fällen geführt, die vor Gericht kommen. Die Aufmerksamkeit ist grösser, die Toleranz kleiner. Wie sich das neue Gesetz auswirken wird, kann man deshalb nach einem halben Jahr noch nicht sagen – auch weil viele Fälle, die jetzt vor Gericht kommen, auf Handlungen zurückgehen, die vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes vorgenommen wurden.

Bleibt es bei dieser gesetzlichen Regelung in Schweden oder wird das Gesetz womöglich weiter verschärft?

Man wird nun schauen, wie sich das Gesetz auswirkt und wie das höchste Gericht die Einzelfälle beurteilt. Das wird wohl einige Jahre in Anspruch nehmen. Klar aber ist, dass die gesellschaftliche Akzeptanz für das neue Sexualstrafrecht gegeben ist.

Das Gespräch führte Daniel Hofer.

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