UNO-Generalsekretär Antonio Guterres versammelt heute den zweiten Tag in Folge in London 30 Chefs von UNO-Organisationen. Sie sollen besprechen, wie künftig sexuelle Übergriffe in UNO-Organisationen und UNO-Missionen verhindert werden können. Dies, nachdem in den vergangenen Monaten mehr als 50 Missbrauchsfälle aus dem Umfeld der UNO und verschiedenen Nichtregierungsorganisationen bekannt wurden.
SRF News: Will Guterres jetzt durchgreifen, um ähnliche Missbrauchsfälle künftig zu verhindern?
Fredy Gsteiger: Für António Guterres ist die Bekämpfung der sexuellen Übergriffe in der UNO ein sehr zentrales Thema. Er ist auch ein bisschen unter Zugzwang. Denn als er gewählt wurde, dachten eigentlich viele, es müsste zum ersten Mal eine Frau an die Spitze der UNO gewählt werden. Viele Länder dachten das, viele Nichtregierungsorganisationen lobbyierten dafür.
Wenn ausgerechnet bei der UNO solche Dinge passieren, dann schlägt das auf Glaubwürdigkeit der Organisation zurück.
Guterres wurde dann gewählt, hat dann sehr rasch ein Bekenntnis dafür abgegeben, an der UNO-Spitze in New York mehr Frauen zu installieren. Das hat er getan, und er hat auch die Bekämpfung von sexuellen Missbräuchen zur eigenen Priorität gemacht. Man darf allerdings nicht davon ausgehen, dass er die Bekämpfung des Problems erfunden hat. Schon sein Vorgänger Ban Ki-moon hat es auf die Traktandenliste gehoben, nachdem vorher jahrzehntelang eine Kultur des Unter-den-Teppich-Kehrens herrschte.
Diese Übergriffe sind schon länger bekannt. Letzten Herbst gab es bereits ein Treffen zum Thema. Damals ging es um sexuellen Missbrauch durch Blauhelmsoldaten. Warum das erneute Treffen?
Weil das Problem nach wie vor nicht gelöst ist. Es hat auch in den ersten drei Monaten dieses Jahres wieder 54 Fälle von Anschuldigungen gegeben. Nicht alle sind bewiesen. Bei den Blauhelmen, aber auch bei anderen UNO-Organisationen und bei NGOs, die mit der UNO zusammenarbeiten. Man hat bislang in einzelnen Fällen Leute bestraft und entlassen. Tatsächlich ist die Kultur der Straflosigkeit vorbei. Das Problem besteht aber fort.
In der UNO als Weltorganisation gibt es unterschiedliche Kulturen. Was ist ein sexueller Übergriff? Das wird längst nicht in jedem unerlaubt gleich gesehen.
Natürlich muss man es auch in Relation setzen: 54 Fälle in drei Monaten sind auf der einen Seite erschreckend, aber die UNO hat weltweit 395'000 zivile Mitarbeiter, fast 100'000 Blauhelme – Soldaten und Polizisten. Aber jeder einzelne Fall ist für die UNO ein gewaltiges Problem, weil es einen enormen Imageschaden für die UNO darstellt. Die Organisation will Gutes tun, für Ausgleich sorgen und für Gleichberechtigung in der Welt entreten: Wenn ausgerechnet dort solche Dinge passieren, dann schlägt das auf die UNO und ihre Glaubwürdigkeit zurück.
Welche Massnahmen erwarten Sie?
Es stehen ganz konkrete Schritte im Raum. Beispielsweise, dass überall, wo die UNO tätig ist, 24 Stunden am Tag Helplines für Opfer zur Verfügung stehen sollen. Es sollen Anlaufstellen und Beratungsorgane geschaffen werden. Es soll auch eine weltweite UNO-Datenbank geben, damit jemand, der wegen sexueller Übergriffe bei einer UNO-Organisation entlassen wurde, nicht zwei Jahre später am anderen Ende der Welt von einer anderen wieder eingestellt wird. Es soll schnellere Prozedere geben und es sollen auch speziell auf dieses Thema fokussierte Ermittler, vor allem auch Ermittlerinnen, eingesetzt werden.
Was können diese Massnahmen bewirken?
Ich denke, dass der Druck auf die Täter oder auf mögliche Täter grösser wird. Sie werden manche vielleicht auch davon abhalten, solche Übergriffe zu machen, weil die Gefahr steigt, bestraft zu werden. Es bleiben aber grosse Probleme. In der UNO als Weltorganisation gibt es unterschiedliche Kulturen. Was ist ein sexueller Übergriff? Das wird längst nicht in jedem UNO-Land gleich gesehen.
Ein weiteres Problem: Hohe UNO-Beamte haben Diplomatenstatus. Sie können im jeweiligen Land gar nicht für solche strafrechtlichen Vergehen belangt werden. Sie müssten in ihrem Heimatland bestraft werden, dort sind sie aber oft einflussreiche Leute und werden geschont. Dann ist auch die lokale Justiz oft ungenügend. In Somalia, Syrien oder in Libyen hat die Verfolgung sexueller Missbräuche schlicht keine Priorität. Bei den Blauhelmen gibt es ein spezifisches Problem: Sie haben zwar ein Mandat der UNO. Die Soldaten unterstehen aber nach wie vor ihren eigenen Streitkräften. Die UNO kann sie höchstens entlassen, aber sie kann sie nicht bestrafen.
Das Gespräch führte Miriam Knecht.