Nichts schadet dem Image der UNO so sehr wie sexuelle Übergriffe von Blauhelmsoldaten oder zivilen UNO-Angestellten. Lange Zeit wurde das Thema aus Angst vor Imageschäden unter den Tisch gekehrt. Doch jetzt hat Generalsekretär Antonio Guterres erstmals eine Fürsprecherin für die Opfer berufen, in den hohen Rang einer Vize-Generalsekretärin: die Australierin Jane Connors.
Er akzeptiere bei der UNO keinerlei Toleranz für sexuelle Übergriffe, sagte Guterres und liess seinen Worten Taten folgen: Er erhöhte den Frauenanteil in der UNO-Chefetage markant. Er führte professionelle Ermittler für Fälle von sexuellen Angriffen ein.
Connors: «Fallzallen zeigen nur die Spitze»
Nun stösst Connors dazu. Es gehe gar nicht um die Zahl der Fälle, es gehe um jedes einzelne Opfer, erklärt die Australierin, die seit Jahrzehnten für die Menschenrechte kämpft: Im UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte, als Präsidentin der britischen Nichtregierungsorganisation «Keeping Children Safe», als Direktorin bei «Amnesty International».
Fallzahlen seien bei dieser Problematik ohnehin trügerisch, sie zeigten bloss die Spitze des Eisbergs, sagt Connors. Es gebe zudem nicht zu viele, sondern zu wenige Berichte über sexuelle Übergriffe. Die meisten Betroffenen, das sind vor allem – aber nicht nur – Frauen und Kinder, meldeten sich aus Scham, aus Angst oder aus Hoffnungslosigkeit überhaupt nicht.
Das Abhängigkeitsverhältnis spielt immer mit
Das Problem bestehe nicht nur bei der UNO, sondern selbst in hochentwickelten Ländern, in den USA, in Europa, in ihrer Heimat Australien. Und auch im Sport, den Kirchen. Aber es sei richtig, die Vereinten Nationen besonders streng zu beurteilen, so Connors.
Denn gerade die UNO, die ja helfen solle, die es mit Opfern von Kriegen und Katastrophen zu tun habe und bei der stets ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Tätern und Opfern bestehe, dürfe Übergriffe nicht tolerieren. Gerade in Krisengebieten bestünden häufig eine ungesunde Nähe und ein Machtgefälle, die solche Angriffe begünstigten.
Finanzielle Hilfe und Betreuung
Am schlimmsten ist es momentan in Zentralafrika, im Südsudan, im Kongo und auf Haiti. Auf der Karibikinsel war Connors neulich. Sie traf dort junge Frauen, die von Blauhelmsoldaten schwanger geworden waren. Ihre Kinder können heute keine Schule besuchen. Das Schulgeld und die Schuluniformen können sich die Opfer nicht leisten.
Es gehe also auch um finanzielle Wiedergutmachung. Es geht ausserdem um Betreuung. Sie ist bei traumatisierten Opfern von Vergewaltigungen oft jahrelang nötig.
Connors: Administrativ-Verfahren rigoros anwenden
Für die Opfer ist ganz wichtig, dass Sexualverbrecher nicht ungestraft davonkommen dürfen. Heute sei dies noch zu oft der Fall. Strafprozesse aber können in der Regel nur von den Heimatländern der Täter eingeleitet werden. Je nach Land ist die Bereitschaft, sexuelle Übergriffe überhaupt zu ahnden, unterschiedlich ausgeprägt. Die UNO hingegen kann nur Administrativverfahren durchführen.
Allerdings, so Connors, sei auch das, rigoros angewendet, ein wirksames Instrument. Etwa wenn Täter jede Chance verlören, je wieder für die UNO zu arbeiten. Oder wenn Partnerorganisationen, die nicht durchgriffen, von der UNO gemieden würden.
Pflichtkurse und Brevier für «glasklare» Verhältnisse
Inzwischen gibt es tatsächlich mehr solche Verfahren. Es gibt im Feld Anlaufstellen für Opfer. Es gibt Pflichtkurse für das UNO-Personal und in den UNO-Missionen Poster und Beiträge im UNO-Radio. Und jeder UNO-Mitarbeiter erhält ein Büchlein, in dem «glasklar» stehe, was toleriert werde und was nicht.
Missverständnisse seien heute unmöglich, betont Connors. Übergriffige oder gar kriminelle Männer wüssten heute sehr wohl, dass ihr Tun missbräuchlich sei. Bloss durften sie zu lange davon ausgehen, nie belangt zu werden.
Keine Gedanke an Ruhestand
Die UNO könne durchaus etwas bewegen und bewirken, ist Connors überzeugt. Und auch sie selber erzählt nicht ohne Stolz, dass ihr Engagement auch familienintern abgefärbt habe. Ihre Tochter arbeitet bei einer Frauenhilfsorganisation in London. Connors selbst agiert weiter von New York aus. Das Rentnerdasein, das ihr inzwischen offenstünde, lockt sie nicht.