Vor dem Supermarkt Giant im Washingtoner Stadtviertel Brentwood steht ein Lastwagen der Hilfsorganisation Capital Area Food Bank. Normalerweise leistet sie Nothilfe für hungernde Obdachlose, doch diesmal steht eine andere Klientel Schlange: Bundesangestellte.
Nothilfe für Staatsangestellte
«Rund 300 Leute haben unser Angebot wahrgenommen, und das innerhalb einer halben Stunde», sagt Hilary Salmon von der Capital Area Food Bank. Die Staatsangestellten erhalten Hühnerfleisch-Koserven, Mais und Bohnen sowie Frischwaren wie Karotten, Zwiebeln und Äpfel.
An fünf Standorten leistet die Capital Area Food Bank an diesem Wochenende Nothilfe, dort, wo am meisten Staatsangestellte wohnen. «Es gibt über 360'000 Bundesangestellte in der Haupstadt-Region, aber da sind die zuliefernden Privatunternehmen nicht eingerechnet. Wir denken, das Problem ist noch gravierender für die lokale Ökonomie, als man gemeinhin annimmt», sagt Salmon.
Wären die Politiker selber finanziell betroffen, dann gäbe es keinen Shutdown.
Steve ist ein junger Sachbearbeiter. Er will – wie viele der Anwesenden – nicht sagen, wo in der Verwaltung er genau arbeitet. «Ich bin hier, um ein paar Lebensmittel zu erhalten. Das hilft mir hoffentlich über die kommenden Tage hinweg.» Er müsse Studienschulden bezahlen, Miete, Nebenkosten, Kreditkarten-Rechnungen, es sei sehr schwierig. Zu schaffen mache ihm die Unsicherheit, wie es weitergehen werde.
Von Wochenlohn zu Wochenlohn
Für uns Schweizer ist es fast unvorstellbar, dass Beamte Not leiden müssen. Aber in den USA leben auch viele Staatsangestellte von Wochenlohn zu Wochenlohn. Am letzten Freitag wurden die Löhne nicht mehr ausbezahlt. Von nun an leben sie von ihren persönlichen Reserven.
Clarence, der im Smithsonian Museum arbeitet, hat vorsorglich seine Gläubiger informiert, dass er seine Schulden nicht mehr bedienen könne, bis er wieder Lohn erhalte. Man sei ihm entgegengekommen.
Francis, ein muskulöser Typ im Karohemd, ist nicht freigestellt, weil er sogenannte essentielle Dienste verrichtet. Er muss ohne Lohn weiterarbeiten. Francis arbeitet im Sicherheitsbereich, wo genau will auch er nicht sagen. «Es ist immer dasselbe. Die Leute werden als politisches Pfand behandelt», sagt Francis.
Wen macht er verantwortlich für den Verwaltungsstillstand? Er sehe die Schuld bei allen: bei der Regierung, den Demokraten, aber auch den Republikanern. «Wären die Politiker selber finanziell betroffen, dann gäbe es keinen Shutdown», meint Francis.
«Alle werden in Geiselhaft genommen wegen der Politik», sagt Sally. Die Debatte über die Mauer zu Mexiko sollte doch separat geführt werden. Sie sollte nicht dem Wohlbefinden der Bürger schaden». Sie halte finanziell noch etwa einen Monat durch, aber sie hoffe, der Shutdown werde nicht so lange dauern.
Noch kann Sally lachen, denn sie ist, wie die meisten Anwesenden, noch nicht völlig ausgebrannt. Die meisten holen Nahrungsmittel nicht, weil sie der Hunger plagt, sondern um zu sparen für andere Rechnungen, die bald anfallen werden. «Ich bin wütend. Aber ich bleibe ruhig, damit mein Blutdruck nicht steigt», sagt Clarence. Die Frage ist nur, wie lange diese Geduld währt.