Die neue Arithmetik im britischen Unterhaus macht den Brexit zum Kinderspiel – so behauptet es der siegreiche Premierminister Boris Johnson. Aber nur das Ende des ersten Kapitels ist einigermassen gesichert.
«Brexit ofenfertig»
Bereitwillig wärmte Boris Johnson im Unterhaus seinen Dauerbrenner aus dem Wahlkampf auf: Das Scheidungsabkommen mit der EU sei bereit für den Ofen, es sei an der Zeit, die Zellophanhülle abzustreifen, Backofen auf Stufe 4 – und die Mahlzeit sei für einen späten Lunch bereit.
Tatsächlich hat das Unterhaus Johnsons Ausführungsgesetzgebung in zweiter Lesung deutlich mit 358 gegen 234 Stimmen gebilligt, der Rest ist Formsache. Das Königreich verlässt die EU formell am 31. Januar 2020.
Dreieinhalb Jahre Verhandlungen
Im Juni 2016, nach dem Brexit-Referendum, hätte wohl niemand unterstellt, dass es mehr als dreieinhalb Jahre dauern würde, bis schon nur die Austritts-Modalitäten ratifiziert sein würden. Damals schien es, das sei der einfachere Teil, was womöglich immer noch stimmt.
Doch Johnson hat nun einige Pflöcke eingeschlagen, die das künftige, definitive Handelsabkommen mit der EU eingrenzen. Das Parlament verliert seine ursprünglich garantierten Mitspracherechte und muss dem Endprodukt nicht zustimmen.
Handelsvertrag in elf Monaten
Überdies ist es der Regierung gesetzlich verwehrt, eine Verlängerung der Übergangsperiode über den 31. Dezember 2020 hinaus zu beantragen. Johnson besteht darauf, er könne einen neuen Handelsvertrag in elf Monaten aushandeln und ratifizieren.
Gleichzeitig hat er Garantien zur Beibehaltung von arbeitsrechtlichen Normen aus dem Scheidungsabkommen entfernt; die Briten wollen also vom Regelwerk der EU, dem Acquis Communautaire, abweichen. Das macht diese Verhandlungen plötzlich schwierig, denn andere, vermutlich laxere Regeln werden den Marktzugang für die Briten verringern.
Sollten die USA Zugang zum britischen Markt für ihre Nahrungsmittel gewinnen, gingen weitere Schranken hoch.
Ist alles möglich?
Mit dem Slogan «Get Brexit done» gewann Johnson die Parlamentswahl, aber er ist bedenklich irreführend. Zum einen, weil ohne Not eine neue Klippe für Ende 2020 errichtet wurde. Zum andern, weil Johnsons Rezept zu erheblichen Engpässen für die britische Industrie führen wird.
Allein, Johnson hat vieles geschafft, was vorher für unmöglich gehalten wurde. Er handelte ein neues Scheidungsabkommen aus, indem er die Abspaltung Nordirlands erlaubte, er einigte alle Brexit-Befürworter hinter sich und gewann eine Neuwahl triumphal.
Die Frage lautet nicht mehr, ob der Brexit stattfinde oder nicht; nun geht es «nur» noch um die Ausgestaltung des neuen Verhältnisses der Briten mit der EU als Drittstaat.