Am zweiten Tag des EU-Gipfels der Staats- und Regierungschefs in Brüssel waren die britischen Wahlen natürlich ein Diskussionsthema. Etwas Bedauern war immer noch zu vernehmen, dass Grossbritannien den Club nun verlässt. Vor allem aber war grosse Erleichterung hör- und spürbar, dass nun endlich klare Verhältnisse beim Thema Brexit herrschen.
Die Lehren aus der Vergangenheit mahnen zur Vorsicht, was die Prognosen über den weiteren Verlauf betrifft. Vor allem, wenn es um den Brexit geht. Den Ball flach halten, würde man im fussballverrückten Grossbritannien sagen.
Keine Zölle, keine Quoten für Handelswaren – und kein Sozial-Dumping durch die Briten. Darauf zielen wir ab.
Darum erwarte die EU vom Parlament des Vereinigten Königreichs nun endlich den Abpfiff von Halbzeit Eins, deren Nachspielzeit schon viel zu lange dauert. Also: Zustimmung zum Scheidungsabkommen. Endlich, nach diesem Sieg von Boris Johnson so rasch als möglich, unterstrich der belgische Ratspräsident Charles Michel.
Bis Ende Januar muss ja auch noch das Europäische Parlament seine Zustimmung erteilen. Eine Formsache.
Für Halbzeit Zwei, die nachfolgenden Verhandlungen über ein neues Freihandelsabkommen zwischen der EU und Grossbritannien, sei man gut vorbereitet: Drei Treffer gelte es zu erzielen, unter gewaltigem Zeitdruck freilich, betonte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen: «Keine Zölle, keine Quoten für Handelswaren – und kein Sozial-Dumping durch die Briten. Darauf zielen wir ab.»
Die EU plädiert für faire Spielregeln unter Nachbarn, damit diese Freunde bleiben können. Nur ein knappes Jahr steht für diese politisch heiklen und technisch hochkomplexen Verhandlungen zur Verfügung.
Never change a winning team
Team Europa geht mit viel Selbstvertrauen an den Start. Die EU schickt das gleiche Team um Chefunterhändler Michel Barnier aufs Feld. Er war schon Spielmacher beim Aushandeln des Austrittsabkommens, zeigte viel Ausdauer, Kreativität und Flexibilität, um trotz wiederholter Spielverzögerungen einen Vorsprung über die Runden zu bringen.
Wenn ich mich schon damit abfinden muss, dass Grossbritannien die EU verlässt, sehe ich darin auch ein belebendes Element.
Ein eingespieltes Team, das sich in Halbzeit Eins in fast allen wichtigen Punkten gegenüber den wechselnden britischen Verhandlungs-Teams auf der anderen Platzhälfte durchzusetzen vermochte. Sicher kein Nachteil.
Die 27 Mitglieder der EU werden ihre Interessen zu verteidigen wissen. Denn viel steht auf dem Spiel, auch für die EU. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel heizt von der Linie aus an: Die EU stelle sich dem System-Wettbewerb mit Grossbritannien gerne.
«Vor unserer Tür sitzt ein Wettbewerber, der der Welt zeigen will, was in ihm steckt. Das kann uns auch beflügeln, schneller und entschiedener zu agieren», blickt die Kanzlerin voraus. Und: «Wenn ich mich schon damit abfinden muss, dass Grossbritannien die EU verlässt, sehe ich darin auch ein belebendes Element.»
Diese Botschaft aus Brüssel auf die Insel in Richtung London war auch häufig zu hören: Die EU will spielbestimmend bleiben – auch in der zweiten Halbzeit des Brexit.