Nach wochenlangem Gezerre wurde ihm der Druck zu gross: Der Präsident des spanischen Fussballverbands, Luis Rubiales, tritt zurück. Dies nach einer Suspendierung, einer Strafanzeige und weltweiten Rücktrittsforderungen. Rubiales hatte nach dem Finale der Fussballweltmeisterschaft der Frauen die Nati-Spielerin Jennifer Hermoso gegen ihren Willen geküsst. Die Sache ist damit nicht abgeschlossen – die Diskussion um Sexismus in der Sportwelt beginne gerade erst, sagt Kathrin Lehmann.
Welches Signal sendet der Rücktritt von Rubiales aus?
Es ist ein Signal für die ganze Welt, dass es tatsächlich an der Zeit ist, dass Fehlverhalten eben auch seine Konsequenzen mit sich bringt. Es war wichtig, dass Jenny Hermoso Rubiales auch vor Gericht gezogen hat, ihn auch angeklagt hat. Letztlich geht es ja nicht nur um diesen Kuss. Es geht darum, dass sichtbar wurde, wie alt, wie verwoben sehr viele Verwaltungs- und Machtsysteme im Fussball sind. Sie sind nach wie vor sehr männerdominiert. Es hat sich gezeigt, dass sie eben nicht mehr der Wertekultur und der Kultur im respektvollen Umgang miteinander entsprechen.
Ist der spanische Frauenfussball ein Sonderfall?
Spanien ist Pars pro Toto. Alle Länder, alle Nationalverbände, alle Verbände generell, die jetzt mit einem Finger auf Spanien zeigen, sollten zuerst auch einmal selber in ihren eigenen Statuten schauen, wie modern sie eigentlich aufgestellt sind. Sie müssen sich fragen: Sind wir gewappnet, falls uns vielleicht etwas Ähnliches passiert? Es ist ein Weckruf für alle. Das Verhalten von Rubiales hat weltweit Entsetzen und Empörung ausgelöst. Und das nicht nur bei Frauen: Es ist eine junge Generation, die heranwächst und lernt, dass es Grenzen gibt, die man nicht überschreiten darf. Es ist ein ganz grosser Moment des Scheidepunkts erreicht, was Verhalten in Machtpositionen im Bereich Sport – und darüber hinaus – betrifft.
Wie gross ist der Druck auf die Verantwortlichen in den Machtpositionen?
Alle haben diese ausserordentliche Versammlung vor Augen, in der alle applaudiert haben, aufgestanden sind und Rubiales ihren Zuspruch per Akklamation ausgedrückt haben. Diese Personen kommen jetzt langsam aber sicher auch ins Wanken, weil sie gutgeheissen haben, was Rubiales gemacht hat. Der gesellschaftliche Druck ist da. Der mediale Druck ist da. Machtstrukturen bedeuten: Loyalität innerhalb der Struktur. Das Wichtigste ist, dass diese Machtstrukturen nun aufgebrochen werden und dass viel mehr Diversität hereingebracht wird – somit mehr Perspektivität. Alle Verbände müssen sich nun auch selbst überprüfen und fragen: Haben wir die richtigen Auffangstrukturen, wenn sexuelle Gewalt, Diskriminierung oder sonstige Vergehen passieren? Diese Überprüfung ist jetzt ein erster Prozess.
Wie sieht es in der Schweiz aus?
Bundesrätin Viola Amherd, Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS, ist hierzulande eine Vorreiterin dafür, dass mehr weibliche Führungskräfte in die Spitzenpositionen kommen – sei es operativ, im Zentralvorstand oder in Verwaltungs- und Aufsichtsräten.
Inwiefern ist die ganze Sportwelt vom Fall Rubiales betroffen?
Es wird sich dadurch nicht nur für die Frauen etwas verändern, sondern für alle, auch für Jugendliche. Wir müssen im Spitzensport vorangehen und auf den Amateursport aufpassen.