In den Wochen nach der Wahl von Joe Biden schickte Ginni Thomas, die Frau des Obersten Richters Clarence Thomas, Dutzende von Textnachrichten an den Stabschef Mark Meadows im Weissen Haus. Sie nannte die Wahl Joe Bidens «den grössten Raubüberfall der Geschichte» und forderte Meadows auf, nicht aufzugeben.
Eindeutige Textnachrichten
Ginni Thomas sprach von einem Kriegszustand, man müsse Zeit schinden, damit sich ein Heer formieren könne. «Es ist ein Kampf zwischen Gut und Böse», antwortete Meadows. Die insgesamt 29 Text-Nachrichten stammen aus Unterlagen, die Meadows an die parlamentarische Kommission übergeben hat, welche den Sturm aufs Kapitol vom 6. Januar untersucht.
Die Nachrichten wurden an den Journalisten Robert Costa von der «Washington Post» und den Autor Bob Woodward geleakt. Letzterer hatte einst die Watergate-Affäre aufgedeckt und sagt jetzt: «Wir konnten es fast nicht glauben, als wir das lasen: Die Frau eines Obersten Richters sagte, in einem Krieg gebe es keine Regeln.»
Die Frau eines Obersten Richters sagte, in einem Krieg gebe es keine Regeln.
Für Robert Costa ist es der Beweis, dass das Trump-Lager einen Coup plante und versuchte, selbst ins Oberste Richtergremium vorzustossen – mittels einer direkten Kommunikationslinie zur Frau des konservativsten Richters im Supreme Court.
Die 64-jährige Ginni Thomas ist eine seit langem bekannte konservative Aktivistin in Washington. Sie nahm am Protest am 6. Januar teil, bevor die Masse das Kapitol erstürmte. Sie sitzt im Vorstand des national-konservativen Netzwerks «Council for National Policy», das die Wahl Joe Bidens verhindern wollte. Und sie genoss direkten Zugang zum Oval Office von Präsident Donald Trump.
Ist der Oberste Richter Thomas befangen?
Der eigentliche «Elefant im Raum» ist aber nicht Ginni Thomas, sondern die Frage, inwiefern die Unabhängigkeit des Obersten Richters Clarence Thomas beeinträchtigt ist.
Liberale Stimmen verlangen, dass er sich in Gerichtsfällen, die den 6. Januar betreffen, für befangen erklärt. In einem bereits entschiedenen Fall ging es darum, ob Donald Trump Dokumente an die parlamentarische Untersuchungskommission zum 6. Januar aushändigen muss. Acht Richter und Richterinnen urteilten ja, einer nein: Clarence Thomas. Pikant ist, dass die Dokumente auch seine Gemahlin belasten könnten.
Man darf annehmen, dass Clarence Thomas sich nicht für befangen erklären wird. Oberste Richter und Richterinnen entscheiden selbst darüber. Ginni Thomas verlautete, dass sie und ihr Mann ihre Berufsleben strikt trennen würden. Doch das Ehepaar Thomas hat sich in Vergangenheit nicht gescheut, zumindest ihre grosse emotionale und gedankliche Verbundenheit öffentlich darzustellen.
2018 interviewte Ginni ihren Mann Clarence zu dessen Karriere und dessen Prinzipien. Was das Beste an seinem Richterberuf sei, fragte sie unter anderem. Und Ehemann Clarence antwortete: «Ich könnte nicht Richter sein ohne Dich. Das wäre, als ob ich auf einem Bein laufen würde. Es ginge gar nicht.»
Wird Ginni Thomas als Zeugin vorgeladen?
Konservative Kommentatoren sehen Clarence Thomas als unbefangen an und das Leak mit den Textnachrichten von Ginni Thomas an die Medien als parteipolitisch motiviert.
Die Frage ist nun, ob die parlamentarische Untersuchungskommission zum 6. Januar Ginni Thomas als Zeugin zu einer Aussage zwangsweise vorladen wird. Dann würde sich die Geschichte weiterdrehen, und die Glaubwürdigkeit des Richters am Supreme Court könnte tiefergehenden Schaden erleiden.