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Skandal um Ibiza-Video Dürfen die Medien Strache derart vorführen?

Schicksalstage in Österreich: Am Montag muss sich Kanzler Sebastian Kurz einer Misstrauensabstimmung stellen und womöglich abtreten. Unterdessen wird über die Ursache der Krise diskutiert: ein zwei Jahre altes Video des späteren Vizekanzlers Heinz-Christian Strache. Mit versteckten Kameras wurde er überführt, wie er Bestechungspraktiken in Betracht zieht. Für den langjährigen SRF-Journalisten Casper Selg ist klar: Wenn ein Politiker derart an den Grundfesten der Demokratie rüttelt, überwiegt das öffentliche Interesse.

Casper Selg

Journalist

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Selg leitete das «Echo der Zeit» und war Radio-Korrespondent in den USA und nach 2010 in Berlin. Seit seiner Pensionierung im Sommer 2015 arbeitet er als freier Journalist und Ausbildner. Er ist Mitglied des Schweizer Presserates.

SRF News: War es korrekt, dass die Medien das Video veröffentlicht haben?

Casper Selg: Ja. Das öffentliche Interesse in diesem Fall überwiegt den Schutz der Privatsphäre. Grundsätzlich ist es so, dass man Aufnahmen nur mit Einverständnis der Person machen darf, die aufgenommen wird. Aber: Wenn das öffentliche Interesse eindeutig gegenüber demjenigen der einzelnen Person auf den Schutz ihrer Privatsphäre überwiegt, sind Ausnahmen zulässig.

Die Unverfrorenheit, wie hier mit demokratischen Grundprinzipien gespielt wird, ergibt sich auch aus den nonverbalen Elementen, die im Video gezeigt werden.

Wenn ein führender Politiker vor einer Wahl mit ausländischen Geldgebern offen darüber redet, wie über den Kauf von Zeitungen und Fernsehsendern eine undemokratische Medienlandschaft wie in Ungarn geschaffen werden kann; wenn darüber geredet wird, wie im Gegenzug grosse Geschäfte und Profite an die Russen umgeleitet werden können – dann geht es letztlich um die Frage, ob mit fremder Hilfe demokratische Prozesse ausgehebelt werden sollen. In diesem Fall ist es völlig klar, dass das öffentliche Interesse überwiegt.

Hätte man das Video unbedingt veröffentlichen müssen? Durch Mimik, Gestik, Tonfall hat sich Strache weiter belastet. Hätte eine Niederschrift seiner Aussagen nicht ausgereicht?

Das ist eine legitime Frage. Im Recht gibt es den Grundsatz, dass man immer bemüht sein muss, den Schaden bei der Gegenpartei möglichst gering zu halten – auch wenn man sich im Recht sieht. Man könnte sich die Frage stellen, ob die Medien die Persönlichkeitsverletzung von Strache hätten geringer halten können, wenn sie nur geschrieben und nicht auch noch gezeigt hätten. Das ist eine heikle Frage. Man kann auch sagen: Die Unverfrorenheit, wie hier mit demokratischen Grundprinzipien gespielt wird, ergibt sich letztlich auch aus den nonverbalen Elementen, die im Video gezeigt werden.

Spiegel-Redaktor: «Das musste dokumentiert werden»

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Für Stefan Brink, Datenschutzbeauftragter des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg, ist die Berichterstattung über das Skandal-Video zwar von hohem öffentlichem Interesse. Aber: Brink hält lediglich eine Wortberichterstattung für legitim. Um über Straches Korruptionsanfälligkeit im Bilde zu sein, müsse man nicht wissen, wie leger er sich gebe oder was er konsumiere: «Das Video verletzt Straches Persönlichkeitsrechte.»

«Spiegel»-Redaktor Wolf Wiedmann-Schmidt war an der Veröffentlichung beteiligt. Die Echtheit des Videos sei mit externen Gutachtern verifiziert worden und die Betroffenen seien im Vorfeld mit den Aussagen konfrontiert worden: «Wir haben uns dann entschieden, die Bestandteile des Videos, die von höchster politischer Brisanz und öffentlichem Interesse sind, zu veröffentlichen.»

Und: «Die drei, vier Stellen, an denen massive Missstände zutage getreten sind, mussten dokumentiert werden.» Das ganze mehrstündige Video zu veröffentlichen, sei nicht infrage gekommen: «So aber wird aufgezeigt, wie das Verhalten des damaligen Vizekanzlers im Widerspruch zu seinem sonstigen Auftreten steht.»

Strache wurde eine Falle mit versteckten Kameras gestellt. Wann dürfen Journalistinnen und Journalisten selbst solche Fallen stellen?

Aufnahmen mit verdeckten Kameras sind in Ausnahmefällen zulässig, wenn das öffentliche Interesse überwiegt. Hier reden wir allerdings von der nächsthöheren Stufe, nämlich von verdeckter Aufnahme unter Vorspiegelung falscher Tatsachen.

Wenn ein Geheimdienst Urheber des Videos war, würden verschiedene Faktoren bei der Abwägung ziemlich anders aussehen.

Es ist Vorsicht geboten: Wenn das Beispiel Schule macht, ist das sehr gefährlich für den Journalismus, den demokratischen Prozess und die Meinungsbildung. Hier muss der Anspruch an das öffentliche Interesse noch einmal viel höher sein, als lediglich bei der verdeckten Aufnahme.

Es ist weiter unklar, wer hinter der Aufnahme steht, die die Medien zugespielt bekamen. Wie gross ist das Risiko, dass sich Medien politisch instrumentalisieren lassen?

Dieser Faktor spielt für mich eine Rolle. Wir wissen schlicht zu wenig, um abschliessend über die Legitimität der Aufnahme entscheiden zu können. Es ist weiterhin möglich, dass das nicht irgendwelche Journalisten oder Künstler waren, sondern ein Geheimdienst. Wenn dem so wäre, würden verschiedene Faktoren bei dieser Abwägung ziemlich anders aussehen.

Das Gespräch führte Isabelle Maissen.

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