Es steht auf einem sanften Hügel, an einer Landstrasse. Ein tiefblauer Himmel wölbt sich über das Hauptgebäude von «Sharswood»: ein schneeweisses, schmuckes Holzhaus mit verzierten Giebeln. Weisse Säulen tragen das kleine Vordach.
Karen Dixon-Rexroth ist hier aufgewachsen, im ländlichen Teil des Bundesstaates Virginia. «Meine Mutter lebt dort drüben, hinter diesem Hügel», sagt sie. «Wir kamen an diesem Haus vorbei, wenn wir zum Einkaufsladen fuhren oder zur Schule.» Ihr Bruder Frederick Miller kaufte das Haus.
Zeichen einer traurigen Vergangenheit
Erst später habe sie herausgefunden, dass «Sharswood» einst eine Tabakplantage war, sagt Dixon-Rexroth. Das heisst: Sklaven arbeiteten hier. Eine alte Treppe, die in den Keller führt, zeugt davon. «Schauen Sie, wie abgenützt die Stufen in der Mitte sind, weil die Sklaven hoch und runter, hoch und heruntergehen mussten», sagt sie und kämpft mit den Tränen. «Es macht mich traurig, daran zu denken, wie sie für das Vergnügen anderer schuften mussten.»
Ich weiss nun, woher ich komme.
Vieles in dem Haus aus den 1850er Jahren deutet auf ein komfortables Leben hin – auf dem Buckel von Sklaven: die alten Holzböden, die Wohnstube mit Kamin und Erker, die eleganten Zierfenster. Gemäss der Volkszählung von 1860 waren hier 58 Menschen versklavt, darunter auch Kinder. Die damaligen Besitzer der Plantage, zwei Brüder, hatten den Namen Miller, genau wie die Familie von Karen Dixon-Rexroth, deren Bruder den Namen bis heute trägt. Mit der Hilfe einer Historikerin kam Erstaunliches ans Licht: Die Vorfahren von Karen Dixon-Rexroth waren in «Sharswood» versklavt. Emotional und verstören sei es gewesen, das zu erfahren. Aber: «Ich weiss nun, woher ich komme.»
Die Sklavenunterkunft
Die Wirtschaft in den Südstaaten fusste auf der Arbeit von Millionen von schwarzen Sklaven. Erst der amerikanische Bürgerkrieg, in dem die Südstaaten 1865 unterlagen, setzte der Sklaverei ein Ende. In der Volkszählung von 1870 sind Violet und David Miller vermerkt: die Ur-Ur-Grosseltern von Karen Dixon-Rexroth. Sie übernahmen den Namen ihrer ehemaligen Besitzer.
Für Schwarze ist es schwierig, die Familiengeschichte zu erforschen. Sklaven wurden in den Volkszählungen nicht namentlich genannt. Für Dixon-Rexroth wurde «Sharswood» zum Schlüssel zur Familiengeschichte. Um das Haus finden sich Hinweise darauf, wie Sklaven hier lebten – und starben. Etwas weiter entfernt liegt der überwachsene Sklavenfriedhof.
Hinter dem Herrenhaus steht ein baufälliges Haus, nicht viel mehr als ein Schuppen. Es habe zwei Sklavenfamilien als Unterkunft gedient, erklärt Dixon-Rexroth. «Man muss auch bedenken, dass Schwarze sich nach ihrer Befreiung alles von Grund auf aufbauen mussten, im Gegensatz zu den ehemaligen Besitzern», sagt Dixon-Rexroth, als sie sich im Innern des Hauses umschaut, das nun ihrer Familie gehört.
Ein Ort der Erinnerung
Dixon-Rexroth bietet in «Sharswood» Führungen an, der Friedhof und der Holzschuppen sollen erhalten werden. «Juneteenth», der Feiertag, der an die Sklavenbefreiung erinnert, wird hier mit einem grossen Fest begangen. «Sharswood» soll ein Ort sein, wo an die Geschichte der Sklaverei erinnert wird. Sie glaube, es habe so sein sollen, dass sie den Hauskauf angeregt habe. Nun trage sie eine Verantwortung: «Es ist meine Pflicht, den Vorfahren gerecht zu werden, die ihre Geschichte selbst nie erzählen konnten».