In der Slowakei hat das Parlament der Regierung das Vertrauen entzogen. Ausgelöst hat das eine Partei, die bis Anfang September selbst Teil der Regierung war. Ihr Ausstieg aus der Koalition hat aus der Mehrheits- eine Minderheitsregierung gemacht. Osteuropa-Korrespondent Roman Fillinger schätzt die Situation ein.
SRF News: Woran ist die alte Regierung gescheitert?
Roman Fillinger: Der Mann, der das Misstrauensvotum möglich gemacht hat, der EX-Vizeregierungschef Richard Sulik, sagt, die Minderheitsregierung habe zu wenig getan, um die Folgen der derzeit rasant steigenden Energiepreise in der Slowakei abzufedern. Aber letztlich ist das Ende dieser Regierung die Fortsetzung eines zweijährigen Machtkampfes.
Im März 2020 hatte die Partei des Antikorruptionsaktivisten Igor Matovic überraschend die Wahlen gewonnen. Matovic wurde Regierungschef, er musste dann aber nach einem Jahr unter Druck seines Koalitionspartners Sulik abtreten und wurde Finanzminister. Doch der Streit mit Sulik war damit nicht zu Ende. Im September zog sich Sulik mit seiner Partei ganz aus der Regierung zurück.
Was kennzeichnet den Machtkampf der zwei Männer?
Es ist vor allem Sulik, der ehemalige Vizeregierungschef, der sich über Matovic ärgert. Allerdings ist er damit nicht allein. Matovic ist ein charismatischer Kopf, ein Antikorruptionskämpfer, der sich geschickt inszeniert hat. Und er gilt als äusserst schwierig in der Zusammenarbeit und als sprunghaft.
Wie kommt der Machtkampf bei den Wählerinnen und Wählern an?
Er kommt schlecht an. Matovic und seiner Koalitionspartner sind angetreten, um mit der Korruption der Vorgängerregierung abzurechnen, um die Slowakei von den Netzwerken aus Geschäftsleuten, Politikern, Richtern und Strafverfolgern zu befreien, die das Land lange dominiert haben. Als Matovic gewählt wurde, war viel Hoffnung da.
Durch diesen politischen Streit ist der Haushalt 2023 blockiert.
Tatsächlich hat Matovic auch einiges erreicht. Aber dominierend waren die endlosen Grabenkämpfe zwischen den Politikern der Regierung. Was dazukommt: Durch diesen politischen Streit ist der Haushalt für das nächste Jahr blockiert. Darin sind auch wichtige Entlastungen vorgesehen für die Leute, die unter den hohen Energiepreisen leiden. Das bedeutet für viele Menschen eine grosse finanzielle Unsicherheit.
Wie geht es nun weiter? Braucht es Neuwahlen?
Vorgesehen sind Neuwahlen eigentlich erst übernächstes Jahr. In der Slowakei ist es schwierig, die Legislatur vorzeitig zu beenden. Es braucht dazu einen weiteren Parlamentsbeschluss mit einer qualifizierten Mehrheit. Dass die zustande kommt, ist zurzeit fraglich. So oder so ist jetzt zuerst einmal Zuzana Čaputová, die Präsidentin der Slowakei, am Zug.
Sie wird am Freitag noch die jetzige Regierung entlassen, sie aber als Übergangskabinett vorderhand im Amt lassen. Kommt es nicht zu Neuwahlen, kann sie eine Expertenregierung einsetzen. Oder sie kann einen anderen Politiker mit der Regierungsbildung beauftragen. Ob das dann aber stabiler herauskommen würde, ist sehr fraglich.
Profitieren würden ... die Leute, die sie «Mafia» nennen.
Wer würde von Neuwahlen profitieren?
Stand jetzt würde die linkspopulistische Opposition profitieren, also die Leute, gegen die Matovic und Sulik vor zwei Jahren angetreten sind. Die Leute, die sie «Mafia» nennen. Die Partei des früheren Regierungschefs Robert Fico hat sich zwar aufgespalten, aber die beiden Teile der früheren Regierungspartei führen derzeit in allen Umfragen, während es die drei heutigen Regierungsparteien zusammen gerade mal noch auf 15 Prozent bringen.
Das Gespräch führte Sandro de la Torre.