Vor zwei Monaten wurde der slowakische Journalist Jan Kuciak ermordet. Es besteht kaum ein Zweifel, dass er wegen seiner Arbeit umgebracht wurde. Er ging den korrupten Netzwerken in der slowakischen Wirtschaft, Politik und Justiz nach. Seit dem Mord ist das Land in Aufruhr. Viele Leute fordern ein Umdenken, es kam zu Rücktritten in der Regierung und bei der Polizei. Doch so schnell wird das Land die Korruption nicht los.
Das Land ist in Aufruhr
An die «Causas» hatte sich die Slowakei längst gewöhnt. «Causa» heissen im Land die Skandalgeschichten um korrupte Politiker und Oligarchen. Enthüllungen waren so häufig wie spektakulär und folgenlos. Die Ermittlungen verliefen stets im Sand. Kein hoher Politiker trat je zurück. So war es. Bis Kuciak und seine Verlobte ermordet wurden.
Seither hören die Demonstrationen nicht mehr auf. Motto: Für eine anständige Slowakei. Nie gingen in dem kleinen Land mehr Leute auf die Strasse. In der Folge kam es auch zu Rücktritten. Der oberste Polizeichef geht, der Premier ging, der Innenminister, und sein Nachfolger nach nur drei Wochen auch. Das Land ist in Aufruhr.
Die alte Elite hat die Fäden weiter in der Hand
«Es kam zu Auswechslungen auf höchster Ebene, aber ich sehe keinen Systemwandel», sagt Alois Hlina. Das Land bräuchte jetzt mehr als ein Facelifting, so der Chef der oppositionellen Christdemokraten. Er hält den neuen Premierminister für eine Puppe des alten Robert Fico. Dieser kontrolliert seine Partei nach wie vor – und damit die Politik.
Die Korruption werde das Land so schnell nicht los, befürchtet Hlina. «Leider ist die Slowakei davon regelrecht durchzogen.» Er befürchtet, dass der Schock nach dem Mord abklingt, bevor das Land sich verändern kann. Es gebe die Tendenz, die Bewegung in der Bevölkerung einzudämmen. «Die Regierung kommt jetzt mit einem grossen Sozialpaket, um von der Korruption abzulenken.» Das Zeitfenster für einen echten Wandel könnte sich bald schon wieder schliessen.
Vor zwei Monaten war ein Korruptionsfall vielleicht ein Tag lang ein Thema. Jetzt reden die Leute drei Wochen davon.
Das ist auch die Sorge des IT- Spezialisten Matej Hloznik. «Nach dem Mord an Jan Kuciak und seiner Verlobten wachte ich auf in einem Land, das ich nicht mochte.» Hloznik nahm von Beginn an an den Protesten teil. Sein klares Ziel: «Ein sauberer Neustart.» Also Neuwahlen, ein neues Parlament, eine neue Regierung, welche neue Polizeichefs, neue Staatsanwälte und neue Richter wählen. Das korrupte Netzwerk zwischen Politik, Polizei und Justiz müsse zerschlagen werden.
Doch die Organisatoren der Proteste liessen die Forderung nach Neuwahlen fallen und verlangten nur noch einzelne Rücktritte. Hloznik sass mit den Organisatoren zusammen und bekam keine Antwort auf die Frage, wieso bloss.
Hohe Hürden für ein Referendum
Die Slowakei, dieses an Verschwörungstheorien gesättigte Land, wäre nicht die Slowakei, wenn nicht manche Leute vermuteten, dass die Organisatoren der Proteste politische Ziele verfolgten oder unter dem Einfluss der Regierungspartei stünden. Hloznik sagt, er habe keinen Grund, das zu glauben. Er und seine Freunde wollen jetzt Neuwahlen per Referendum erzwingen.
Doch in der kleinen Slowakei muss man dafür 350'000 Unterschriften sammeln, und dann auch noch eine Wahlbeteiligung von über 50 Prozent erreichen. «Eine schier unlösbare Aufgabe, und vielleicht sogar eine kontraproduktive», sagt der Politologe Grigori Mesenikov vom unabhängigen Institut für öffentliche Angelegenheiten in Bratislava.
Denn das binde viele Kräfte, und am Ende drohe ein Scheitern des Referendums, woraus die Regierungspartei sogar Gewinn schlagen könnte.
«Warten auf die ordentlichen Wahlen in zwei Jahren ist kein Unglück», findet der Politologe. Zumal schon viel geschehen sei. «Der Mord war ein Auslöser. Aber die Trends waren schon da.» Mesenikov nennt den unabhängigen Journalismus, der Skandale aufdeckte, die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Richtung, die das Land einschlug. All das sei jetzt zum Ausbruch gekommen.
Zeit der Duldung der korrupten Elite ist vorbei
Zwar habe die Regierungspartei nach den Rücktritten die neuen Minister ernannt, es habe sich also nur zum Teil etwas geändert. «Aber diese Teilerfolge sind wichtig.» Denn in der Slowakei hätten die Institutionen versagt, weil die Mächtigen sie kontrollierten und für ihre Zwecke missbrauchten.
Jetzt aber, habe die Zivilgesellschaft ihre Zähne gezeigt. Die Zeit der stillen Duldung einer korrupten Elite sei vorbei, vermutet der Politologe. Auch, weil die Gesellschaft ganz anders reagiere, wenn eine neue «Causa» auftaucht. «Vor zwei Monaten war das ein Thema für einen Tag. Heute für drei Wochen.»
Tatsächlich kämpft die neue Regierung schon wieder mit Korruptionsskandalen. Und das sehr intensiv. Weil die Bevölkerung neu gegen ihre Korrupten kämpft.