China hatte bislang eines der tiefsten Renteneintrittsalter weltweit. Das ändert sich nun. Seit dem 1. Januar wird dieses schrittweise erhöht. Zum ersten Mal seit den 1950er Jahren.
Bis 2040 soll das Rentenalter für Fabrikarbeiterinnen von heute 50 auf 55 Jahre steigen, für alle übrigen weiblichen Angestellten von derzeit 55 auf 58 Jahre. Und Männer arbeiten künftig nicht mehr nur bis 60, sondern bis 63.
Bevölkerung hat kein Mitspracherecht
Die Reform ist einschneidend. In den sozialen Medien üben Nutzerinnen und Nutzer versteckt Kritik. Humorvolle Videos, in denen sich Junge als Alte verkleiden und sich vorstellen, wie es ist, bis ins hohe Alter zu arbeiten, erhalten tausende von Klicks.
Nur, die Bevölkerung hat letztendlich im Einparteienstaat China kein demokratisches Mitbestimmungsrecht. «Die Reform ist seit Längerem ein Thema. Wir haben nach und nach begonnen, sie zu akzeptieren», erklärt Irene Yin. Die 41-jährige Wirtschaftsprüferin geht neu drei Jahre später in Rente.
Bevölkerung überaltert im Eiltempo
Die chinesische Regierung reagiert mit der Reform auf den demografischen Wandel. Obwohl vor rund zehn Jahren die Ein-Kind-Politik aufgehoben wurde, befindet sich die Geburtenrate auf einem Rekordtief von statistisch rund 1.0 Kindern pro Frau.
Gleichzeitig ist die durchschnittliche Lebenserwartung gestiegen. Zu Beginn der Gründung der Volksrepublik 1949 lag die Lebenserwartung bei rund 40 Jahren. Gegenwärtig ist sie mit 78.6 Jahren fast doppelt so hoch.
In der Folge schrumpft und überaltert Chinas 1.4-Milliarden-Bevölkerung. Heute sind 20 Prozent der Bevölkerung älter als 60. In nur zehn Jahren steigt dieser Anteil bereits auf 30 Prozent. Das belastet die Wirtschaft und die Rentenkasse. 2019 schätzte die Akademie für Sozialwissenschaften in China, dass die Pensionskassen bis 2035 leer sein dürften, wenn es keine Gegensteuer gibt.
Reformen wurden jahrzehntelang verschleppt
Dass eine Reform dringend nötig ist, ist schon länger offensichtlich. Aber der Jahrzehnte anhaltende Wirtschaftsboom und der damit einhergehende wachsende Wohlstand verdeckten den Handlungsbedarf. Die unpopuläre Reform wurde so lange verschleppt, bis sie unausweichlich war.
Dabei ist der Zeitpunkt äusserst ungünstig. Die Job-Aussichten in China sind angesichts der Wirtschaftskrise zurzeit schlecht. Wenn die Menschen nun auch noch später in Rente gehen, erhöht das zusätzlich den Druck auf den Arbeitsmarkt.
Aufholbedarf beim Rentensystem bleibt gross
Trotz der Reform bleiben viele Probleme ungelöst, wie etwa die Situation der Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter. Sie verdienen schlecht und werden oft ohne Vertrag beschäftigt. Folglich haben sie keine oder nur eine sehr tiefe Rente. «Ich kriege keine Rente, die Reform bringt mir nichts», erklärt der 60-jährige Bauarbeiter Xia Riguo: «Ich werde so lange arbeiten müssen, wie ich dazu körperlich in der Lage bin.»
Das Rentensystem in China bleibt eine Baustelle. Der Aufholbedarf ist gross und die aktuelle Reform dürfte erst der Anfang sein.