Patriarch Bartholomäus, das Ehren-Oberhaupt der orthodoxen Kirche, hat Ja gesagt zur Loslösung der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche von Moskau. Für den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko ist das ein historischer Sieg, für die orthodoxe Kirche in Russland eine Katastrophe. Ulrich Pick über die Verschränkung von Religion und Politik.
SRF News: Ulrich Pick, warum ist es für Poroschenko so wichtig, dass die ukrainische Kirche unabhängig von Russland wird?
Ulrich Pick: Die meisten Gläubigen in der Ukraine zählen sich zur Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. Das heisst, Moskau hat das spirituelle Sagen über die Gläubigen in der Ukraine. Das ist für die Ukrainer nicht tragbar. 2014 kam mit der Besetzung der Ostukraine durch Russland eine Verschärfung hinzu. Und da ist es für Poroschenko ein Muss, dass man sich loslöst – die spirituelle Hoheit im Land kann nicht in den Händen des Feindes liegen.
Aber laut Verfassung ist die Ukraine ein säkulares Land, wo Kirche und Staat getrennt sind. Ist das nur Theorie?
In der Praxis zeigt sich, dass in den osteuropäischen Ländern und auch in Russland Kirche und Staat Arm in Arm gehen. In Moskau feiert die Russisch-Orthodoxe Kirche die Siege des russischen Militärs, beispielsweise in Syrien, laut mit. Die Kirchen sind im Schlepptau von Putin.
Die Verschränkung von Staat und Kirche ist in Europa noch lebendig.
Man sieht das auch noch in Teilen Griechenlands, wo an Grenzübergängen nicht nur die griechische Fahne weht, sondern auch der byzantinische Doppeladler auf gelbem Untergrund. Die Verschränkung von Staat und Kirche ist in Europa noch lebendig.
Wenn Bartholomäus für die Ukraine entscheidet, dann entscheidet er also nicht religiös, sondern politisch?
Im Grunde genommen schon. Er nimmt religiöse Rechte in Anspruch. Bartholomäus ist der Erste unter den gleichen Oberhäuptern der 14 selbstständigen orthodoxen Kirchen. Er setzt sein Gewicht für die Ukraine und damit letztlich politisch gegen Moskau ein.
Die spirituelle Hoheit im Land kann nicht in den Händen des Feindes liegen.
Warum gehen Staat und orthodoxe Kirche Arm in Arm?
Im Altertum hatte Byzanz das Sagen, bis es vom Osmanischen Reich besetzt wurde. Mit dem Zerbröseln des Osmanischen Reiches im 17., 18. Jahrhundert entsteht der Gedanke der Nationalkirchen: Ab dann gibt es die serbische, die bulgarische, die rumänische Kirche. Das ist die Wurzel, dass sich die Kirche an die Nation bindet. Im Gottesdienst ist die Muttersprache auch die Landessprache.
Orthodoxie, das ist auch Blut und Boden?
Im Grunde genommen schon. Die Reaktion aus Moskau auf den Entscheid in Konstantinopel zeigt, wie sehr man sich mit dem Boden und somit auch mit dem Blut der Ukraine verbunden fühlt. Die Androhungen waren ja enorm. Man muss damit rechnen, dass Moskau den Weg des Schismas geht.
Können Sie den Weg des Schismas erklären?
Im September hat Moskau bereits angekündigt, dass niemand aus den eigenen Reihen mehr mit Mitarbeitern des ökumenischen Patriarchats in Konstantinopel zusammenarbeiten darf. Das geht so weit, dass selbst in Deutschland die Russen nicht mehr mit den Vertretern von Konstantinopel zusammenarbeiten, obwohl es da nur einige wenige Bischöfe gibt.
War die Entscheidung des Patriarchen eine schlechte Entscheidung für die Kirche?
Wenn man orthodox denkt, kann man das Prinzip der Nationalkirche hochhalten. Immerhin: Russland hat auch viel Zwietracht gesät. So gesehen kann man das nachvollziehen, was der ökumenische Patriarch in Konstantinopel gerade vollzieht. Es war eine problematische Entscheidung, keine schlechte. Es ist sehr problematisch, weil es viele Fragen offen lässt, die schwer zu lösen sind.
Das Gesprüch führte Simon Leu.