Die Seelen der SPD-Mitglieder sind geschunden. Die Umfragewerte sind seit der Bundestagswahl um über 10 Punkte eingebrochen, der eigene Kanzler ist in der Bevölkerung unbeliebter denn je und am Ende stellt er sich nicht einmal hin und gibt den Menschen Orientierung. Längst wurden auch aus den Tiefen der Partei Fragen laut, wie eigentlich der Plan von Olaf Scholz aussieht. Diese Unsicherheit nährte Zweifel, die Sprachlosigkeit sorgte für Unverständnis.
Scholz: Kein Abbau am Sozialstaat
Gross war also die Spannung, wie der Kanzler seine Partei mitnimmt auf die nebulöse Reise dieser Regierung. Er tat es unüblich emotional, nicht monoton abgelesen wie so oft, sondern in freier Rede, mit einem Appell an die Zuversicht und einem Bekenntnis zum starken Sozialstaat. Scholz umschiffte heikle Punkte und Selbstkritik und traf mit seinem klaren sozialdemokratischen Kompass genau den Nerv der 600 Delegierten – mit dem wohl zentralen Satz: «Für mich ist klar, es wird keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland geben».
Wo gespart werden soll, liess er allerdings offen. Selbst die Schuldenbremse, deren Zukunft im Zentrum des Regierungsstreits steht, erwähnte er mit keinem Wort.
Besonnener Moderator der Macht
Langanhaltender Applaus bestätigte Olaf Scholz in seiner Politik. Längst vergessen sind die Zeiten, in denen er nicht einmal als Parteichef der SPD infrage kam. Nur die Jungsozialistinnen und -sozialisten beharrten darauf, dass Scholz in der Regierung mehr Führung übernehmen müsse. Er sei ja bloss ein Moderator der Macht.
Doch Scholz ist auf die beiden Partner angewiesen. Er kann nur Kanzler bleiben, wenn sich die drei Seiten finden und sich keiner übergangen fühlt. Die FDP hat zudem eine heikle Mitgliederbefragung vor sich. Es braucht zum Erfolg eine Symmetrie des Leidens und eine Symmetrie der Erfolge. Wenn also Scholz es schafft, immer wieder hinter den Kulissen Sprachlosigkeit und Ärger zu überwinden, dann ist das eine Leistung, die in dieser schwierigen Konstellation durchaus ihren Wert hat.
Auch die Bevölkerung braucht Orientierung
Scholz erreicht Geschlossenheit in der SPD. Das ist nicht selbstverständlich. Denn die Partei hat eine lange Geschichte hässlicher, interner Kämpfe hinter sich. Und viele Parteimitglieder werden im nächsten Jahr beim Wahlkampf in Ostdeutschland, wo die Rechte stark ist, eine dicke Haut brauchen. Sie müssen überzeugt davon sein, wozu sie sich das antun. Das nächste Ziel von Scholz muss nun die Rettung des Haushalts und damit jene seiner Regierung sein. Aber Scholz täte auch gut daran, sich noch ein weiteres Ziel zu setzen: Er muss als Kanzler wieder mehr Menschen mitnehmen, auch ihnen Orientierung bieten. Es reicht nicht, in der eigenen Partei Zuversicht zu verbreiten. Diesen Tonfall für die Bevölkerung hat der Kanzler noch immer nicht gefunden.