Wien gilt als Hochburg für Spione. Das war schon während des Kalten Kriegs so – und die «Tradition» lebt bis heute weiter: Tausende Agentinnen und Agenten sind in der Donaumetropole aktiv und versuchen, geheime Informationen für ihr Heimatland zu beschaffen.
Laut Fachleuten hat die Tätigkeit russischer Schlapphüte in Wien seit dem Angriff auf die Ukraine markant zugenommen. Gegenüber der «Financial Times» bezeichnete ein europäischer Diplomat Wien jüngst als «Flugzeugträger» für verdeckte russische Aktivitäten.
Diplomatische Drehscheibe
Die Metropole im Zentrum von Europa ist ein Scharnier zwischen West und Ost. Österreichs Neutralität und der Umstand, dass zahlreiche internationale Organisationen in Wien ansässig sind, befruchtet Geheimdienstaktivitäten zusätzlich.
«Wien ist eine internationale diplomatische Drehscheibe», erklärt der Historiker und Politologe Thomas Riegler. «Deswegen sind hier alle möglichen Akteure aktiv.» In Wien ist nicht nur die UNO ansässig, auch die Organisation der erdölexportierenden Länder (Opec) oder die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) haben dort ihren Sitz.
Der Stützpunkt Wien hat für Russland eine grössere Bedeutung bekommen.
Dass sich derzeit gerade russische Spione in der Hauptstadt Österreichs tummeln, hat laut dem Experten für Nachrichtendienste und Sicherheitspolitik einen weiteren Grund: Während sich die diplomatische Präsenz Russlands in anderen europäischen Hauptstädten seit Kriegsbeginn stark vermindert hat, blieb sie in Wien weitgehend intakt: «Dadurch hat der Stützpunkt Wien für Russland eine grössere Bedeutung bekommen.»
Das Gastrecht überstrapaziert
Der Geheimdienstexperte vergleicht diese «Diskretion» mit der Schweiz, wo offiziell noch kein russischer Diplomat ausgewiesen worden sei. In der Schweiz verfüge der Nachrichtendienst allerdings über die griffigeren Möglichkeiten zur Spionageabwehr als in Österreich.
In der neutralen Alpenrepublik Österreich versuche man, der Rolle des Gastgebers gerecht zu werden. «Auch wenn man es mit einem Gast zu tun hat, der sein Gastrecht schon ziemlich überstrapaziert und diverse rote Linien überschritten hat», sagt Riegler.
Ein Beispiel: Auf den Dächern von diplomatischen Einrichtungen Russlands in Wien wurden im Laufe der Zeit immer mehr Satellitenschüsseln festgestellt. Diese dürften der elektronischen Aufklärung dienen – und im Verbund mit ähnlichen Einrichtungen in anderen europäischen Städten soll Wien eine Art Leitstation gewesen sein, so Riegler.
Die Opposition macht Druck
Die klandestinen Aktivitäten werden nun jedoch zum Politikum. Die Opposition in Wien fordert, dass härter gegen Spione durchgegriffen wird. «Wir weisen schon lange auf Missbräuche hin», beklagte Stephanie Krisper, Parlamentarierin der liberalen Neos-Partei, zuletzt gegenüber österreichischen Medien. «An der Gesetzgebung hat sich aber nichts geändert.»
Traditionell schaut die Regierung in Wien weg, wenn um es die Machenschaften ausländischer Agenten geht. Denn Spionage ist nur verboten, wenn sie gegen die Interessen Österreichs betrieben wird. Dieses Gesetz will die Neos-Partei jetzt auf das Ausspähen fremder Staaten oder internationale Organisationen ausweiten.
Die Regierungskoalition aus konservativer ÖVP und Grünen tritt jedoch auf die Bremse: Schon zwei Mal nutzte sie ihre Mehrheit im Parlament, um Beratungen zu vertagen. Russische Agenten dürften also weiterhin unbehelligt in Wien wirken.