Seit Tagen ist der Sudan im Fokus: Die zwei mächtigsten Generäle des Landes und ihre Einheiten ringen um die Vorherrschaft. Die beiden Männer führten das Land im Nordosten Afrikas mit rund 46 Millionen Einwohnern seit einem gemeinsamen Militärcoup im Jahr 2021.
De-Facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan, der Oberbefehlshaber der Armee ist, kämpft gegen seinen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo, den Anführer der mächtigen Rapid Support Forces (RSF). Rund 300 Menschen seien in den letzten Tagen im Sudan ums Leben gekommen, meldet die Weltgesundheitsorganisation WHO.
Politische Umstürze, Hunger und Fluchtbewegungen: Das Land am Horn von Afrika scheint in einem Kreislauf von Not und Gewalt gefangen. Doch was ist der Sudan überhaupt für ein Land, und wie sieht der Alltag der Menschen aus? Diese Fragen kann Marina Peter beantworten, die Vorsitzende des Sudan- und Südsudan Forums.
Der Reichtum, die Freundlichkeit und Widerstandskraft der Menschen – das ist, was den Sudan so besonders macht.
Sie beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit dem Sudan. Von aussen betrachtet möge das den ein oder anderen verwundern, sagt Peter. «In der Regel herrschen im Sudan mindestens vierzig Grad, in den Sommermonaten auch gerne über 50. Das Land besteht fast nur aus Wüste und ist immer wieder in Konflikten verbandelt.»
Woher rührt also ihre Faszination für das Land in Ostafrika? «Es sind seine wunderbaren Menschen», lautet ihre entwaffnende Antwort. «Seine reichhaltigen Kulturen heben den Sudan noch einmal ab von vielen Ländern, die ich bereist habe. Der Reichtum, die Freundlichkeit und Widerstandskraft der Menschen – das ist, was den Sudan so besonders macht.»
Der Nil als Lebensader
Durch Zufall verliebte sich Peter in den 1990er-Jahren in den Sudan: Als Geschichts- und Deutschlehrerin erhielt sie eine Anstellung bei der Entwicklungsorganisation der evangelischen Kirche in Deutschland und reiste erstmals in das Land. Heute gilt sie als eine der besten Kennerinnen des Landes im deutschsprachigen Raum.
Die Landwirtschaft ist der wichtigste Wirtschaftssektor im Sudan. Trotz sengender Hitze und Verwüstung hat es einige fruchtbare Gebiete im Land, so etwa im Westen. Auch entlang des Blauen und Weissen Nils gibt es Anbaugebiete – Afrikas Lebensader fliesst in Khartum, der Hauptstadt des Landes, zusammen.
Zwischen Stadt und Land gibt es grosse Unterschiede. In urbanen Gebieten ist der Dienstleistungssektor ausgeprägt und die Menschen sind oft gut ausgebildet; es wird reger Handel getrieben und die Frauen nehmen am öffentlichen Leben teil. «In ländlichen Teilen des Landes werden Frauen aber nach wie vor stark benachteiligt», sagt die Sudan-Kennerin.
Andauernde Konflikte hemmen Entwicklung
Der Sudan ist mausarm, viele Menschen sind Analphabeten. «Das alles müsste aber nicht so sein», sagt Peter. «Der Sudan hat Öl- und Goldvorkommen und es gab auch einmal die Idee, den Sudan zur Kornkammer der arabischen Welt zu machen.»
Doch auch aufgrund der vielen gewaltsamen Auseinandersetzungen liegt vieles brach. Die Auseinandersetzungen werden vom Kampf um die Bodenschätze befeuert. «Der gegenwärtige Konflikt lässt sich aber nicht darauf reduzieren», so die Sudan-Kennerin. Auch liesse sich der Gewaltausbruch nicht auf ethnische Spannungen im Vielvölkerstaat zurückführen.
Was die beiden rivalisierenden Generäle eine, so das traurige Fazit von Peter, sei «die völlige Ignorierung der Zivilbevölkerung – sie nehmen überhaupt keine Rücksicht.»