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Schweiz: Verfolgung von Kriegsverbrechern ist schwierig
Aus 10 vor 10 vom 13.01.2022.
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Staatsfolter-Prozess «Die Schweiz macht nicht nichts – aber auch nicht viel mehr»

Es ist eine späte Genugtuung für viele Opfer schwerer Folter: Ein Jahrzehnt nach Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges hat ein Gericht in Deutschland ein historisches Urteil gefällt und einen ehemaligen syrischen Geheimdienstmitarbeiter zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Damit endet ein weltweit einmaliger Prozess. Oliver Diggelmann, Professor für Völkerrecht an der Universität Zürich, ordnet ein – und sagt, wo die Schweiz Nachholbedarf hat.

Oliver Diggelmann

Professor für öffentliches Recht an der Universität Zürich

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Ab 2010 hatte Diggelmann an der Universität Zürich den Lehrstuhl für Völkerrecht, Europarecht, Öffentliches Recht und Staatsphilosophie inne. Seit 2011 ist er geschäftsführender Leiter des Instituts für Völkerrecht und ausländisches Verfassungsrecht. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen hat er auch einen Roman verfasst.

SRF News: Wieso werden Vorwürfe bezüglich eines Verbrechens in Syrien in Deutschland verhandelt?

Oliver Diggelmann: Weil schwere Verbrechen von allen Staaten verfolgt werden dürfen – und weil es sonst niemand tut. Dass solche Vergehen, im konkreten Fall Folter, von syrischen Gerichten verfolgt werden, ist ausgeschlossen. Denn Machthaber Baschar al-Assad hat diese Gerichte fest im Griff. Der Internationale Strafgerichtshof seinerseits darf nicht aktiv werden, da Syrien nicht Mitglied ist.

Es gäbe noch die Möglichkeit, dass der UNO-Sicherheitsrat diese Fälle an den Internationalen Strafgerichtshof überweist. Doch das wird nicht passieren, da die Veto-Macht Russland ein Verbündeter Assads ist.

Inwiefern ist der heutige Schuldspruch speziell?

Das absolut Aussergewöhnliche an diesem Urteil ist: Ein ausländisches Gericht stellt nicht nur fest, dass hier Folter in einem anderen Staat begangen wurde. Es sagt, im Grunde genommen, dass ein Staatsorgan, nämlich der Geheimdienst und die Gefängnisse, systematisch Angriffe auf die Zivilbevölkerung verübt hat. Es ist das erste Mal, dass dies seit den Nürnberger Nachfolgeprozessen geschehen ist. Das ist mit ein Grund, wieso einige sagen – vielleicht auch etwas vorschnell –, dass es sich um ein historisches Urteil handelt. Deutschland übernimmt damit aber sicher eine gewisse Vorreiterrolle, zweifellos auch mit gewissen Folgen für seine diplomatischen Beziehungen.

Was sind die Herausforderungen bei einem solchen Strafverfahren?

Die sind immens. Man muss Zeugen finden für schwer beweisbare Verbrechen, die teilweise vor zehn Jahren begangen wurden. Es muss viel Übersetzungsarbeit geleistet werden, und zwar sehr präzise. Und man muss die Zeugen psychologisch betreuen und sie auch vor Racheakten schützen.

Und in der Schweiz – wie steht es da um diese sogenannten Völkerstrafverfahren?

Die Schweiz macht nicht nichts. Aber auch nicht viel mehr als das. In den gut zehn Jahren, in denen diese Verfahren bei uns ein Thema sind, gab es ein Urteil durch das Bundestrafgericht. Dazu kommen etwa zwanzig Vorermittlungen und Strafuntersuchungen, die aber langsam vorankommen, wenn überhaupt. Der Schweizer Strafverfolgungswille in diesem Bereich ist sehr übersichtlich.

Was müsste die Schweiz besser machen?

Die Verfolgung solch schwerer Verbrechen ist Teil der Menschenrechtspolitik eines Staates. Soll diese glaubwürdig sein, muss sie einigermassen kohärent sein. Wenn die Schweiz passiv bleibt oder fast nicht tut, wenn sich hierzulande anerkannte Kriegsverbrecher aufhalten, gibt es da ein Problem.

Nur: Anders, als viele wohl denken würden, liegt das Problem weniger bei der Bundesanwaltschaft. Diese ist personell absurd bescheiden ausgestattet; das kann man nicht anders sagen. Das Problem liegt mehr auf der Ebene der politischen Behörden, die über die Ausstattung der Bundesanwaltschaft entscheiden. Da scheint die Vorstellung vorzuherrschen, dass man sich bei solch heiklen, sehr schwierigen und politisch brisanten Verfahren besser wegduckt.

Das sagt die Bundesanwaltschaft

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Zu den zur Verfügung stehenden Ressourcen hält die Bundesanwaltschaft (BA) in einer schriftlichen Stellungnahme fest, dass der Deliktsbereich «Internationales Strafrecht» über spezialisierte juristische Ressourcen verfüge, die 400 Stellenprozenten entsprächen – dies ohne zusätzliche Ressourcen, die im Falle eines massiven Zustroms solcher Fälle von anderen Stellen mobilisiert werden könnten. Der Deliktsbereich «Internationales Strafrecht» sei so besetzt, «dass er seinen Auftrag erfüllen kann».

Zum Vorwurf, die Schweiz mache zu wenig, hält die Bundesanwaltschaft, ebenfalls schriftlich, fest: «Dieser Vorwurf trifft aus Sicht der BA nicht zu. Seit 2011 prüfte die Bundesanwaltschaft über 80 Fälle, von denen die meisten zu Nichteintretens- oder Einstellungsverfügungen führten. Dies vor allem, weil die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllt waren (z.B. das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts oder die Anwesenheit der mutmasslichen Täter auf Schweizer Territorium zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung). Zudem sieht die BA aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen und Rechtssysteme von Vergleichen mit anderen Ländern ab. Die BA verfolgt aufmerksam die Entwicklungen im Bereich des Völkerstrafrechts sowohl auf der Ebene der Staaten als auch auf der Ebene der internationalen Gerichte.»

Das Gespräch führte Pirmin Roos.

SRF 4 News, 13.01.2022, 11:00 Uhr ; 

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