- Im Prozess gegen den ehemaligen syrischen Geheimdienstmitarbeiter Anwar R. hat ein Gericht im deutschen Koblenz eine lebenslange Haftstrafe ausgesprochen.
- Es war der weltweit erste Prozess wegen Staatsfolter in Syrien. Die Richter stuften das Vorgehen des Hauptangeklagten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein.
- Konkret soll der ehemalige Vernehmungschef in einem syrischen Geheimdienst-Gefängnis in Damaskus in den Jahren 2011 und 2012 tausende Menschen gefoltert haben. Mindestens 30 Gefangene seien gestorben.
Der im April 2020 begonnene Prozess ist nun am 108. Verhandlungstag zu Ende gegangen – noch ist das Urteil aber nicht rechtskräftig. Das Verfahren erregte international für Aufsehen, da mehr als 80 Zeugen aussagten und eine Reihe von Folteropfern als Nebenkläger auftraten.
Das Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht erlaubt es, in Deutschland mögliche Kriegsverbrechen von Ausländern in anderen Staaten zu verfolgen. Anwar R. und der frühere Mitangeklagte Eyad A. waren nach ihrer Flucht in Deutschland von mutmasslichen Folteropfern erkannt und 2019 in Berlin und Zweibrücken festgenommen worden.
Signalwirkung auf andere Prozesse?
Eyad A. wurde bereits vom Oberlandesgericht zu viereinhalb Jahren Haft wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Über seine Revision ist noch nicht entschieden worden. Eyad A. hatte nach Überzeugung der Koblenzer Richter 2011 in Syrien dazu beigetragen, 30 Demonstranten ins Foltergefängnis des Hauptangeklagten zu bringen.
Opferverbände und Menschenrechtsorganisationen erhoffen sich, dass das Urteil Signalwirkung auf weitere Prozesse gegen ehemalige Mitglieder des syrischen Regimes hat. Viele Syrerinnen und Syrer werteten das Urteil auch als auch Absage an jegliche Zusammenarbeit mit einem verbrecherischen Regime, sagte die Journalistin Hannah El-Hitami, die den Prozess vor Ort verfolgte.
Letztlich sei das Urteil auch eine historische Gegendarstellung, nachdem Präsident Assad die Folter in syrischen Gefängnissen seit Jahren leugne, ergänzte El-Hitami. Unabhängig davon seien Syrerinnen und Syrer ernüchtert und ohne Illusion, dass das Urteil etwas am Schicksal der in Syrien Verschwundenen und noch Inhaftierten ändert. So habe das Urteil eher eine symbolische und emotionale Wirkung für jene, die jetzt ausgesagt hätten.
«Fortschritt auf dem Weg der Gerechtigkeit»
Die Untersuchungskommission des UNO-Menschenrechtsrats zu Syrien in Genf begrüsste das Urteil. «Urteile wie dieses sind ein dringend nötiger Fortschritt auf dem Weg zur Gerechtigkeit für die Opfer und Überlebenden von Kriegsverbrechen in Syrien», sagte der Kommissionsvorsitzende Paulo Sergio Pinheiro.
Die Anstrengungen, Verantwortliche für solche Gräueltaten zur Rechenschaft zu ziehen, dürften nicht nachlassen. Die Kommission hat in mehr als 20 Berichten Verbrechen in Syrien dokumentiert. In Gefängnissen sässen bis heute Opfer von Folter. Ebenso würden mehr als 100'000 Menschen in Syrien vermisst, teilte die Kommission mit.
Das Gericht in Koblenz hat eindeutig und formal die unmenschlichen Haftbedingungen, systematische Folter, sexualisierte Gewalt und Tötungen in Syrien festgestellt.
Auch Amnesty International hiess das Urteil gut und nannte es ein «wichtiges Signal im Kampf gegen Straflosigkeit». Der Generalsekretär des deutschen Ablegers der Menschenrechtsorganisation, Markus N. Beeko, erklärte: «Das Gericht in Koblenz hat eindeutig und formal die unmenschlichen Haftbedingungen, systematische Folter, sexualisierte Gewalt und Tötungen in Syrien festgestellt.»