Donnerstagmittag im gutbürgerlichen 15. Arrondissement von Paris. Die Abfallcontainer an den Hauswänden sind übervoll. Die Berge von schwarzen Kehrichtsäcken auf dem Trottoir werden immer grösser und versperren den Passanten den Weg. Eine Rentnerin schüttelt den Kopf: «Jämmerlich ist das, eine Schande, was hier passiert», sagt sie. «Dieser Gestank ist widerlich!»
Ein Student bleibt stehen. «Ich finde, die Abfallmänner haben recht, wenn sie streiken», sagt er. «Es geht um ihre Rente. Eigentlich sollte man diesen Dreck ja vor dem Elysée-Palast abladen – doch hier sehen Macrons Wählerinnen und Wähler wenigstens, wohin seine Politik führt.»
«Das sehe ich ganz anders», gibt die Rentnerin zurück. Es gibt in der Gesellschaft Regeln, an die sich alle halten müssen. «Das geht doch nicht.» Der Abfallstreik gibt in der Bevölkerung viel Gesprächsstoff. Und die Abfallberge wachsen.
Der Gestank zieht durch die Gassen
Nach der ersten Streikwoche standen bereits über 5000 Tonnen Kehricht auf der Strasse. In überfüllten Containern zwar. Aber an vielen Orten waren die Abfallsäcke noch immer verhältnismässig ordentlich aufgeschichtet. Inzwischen dürften es bereits über 10'000 Tonnen sein, die Abfallberge wuchern entlang der Strassen und stinken immer stärker.
Auch politisch gibt der Abfallstreik Gesprächsstoff her: In Paris etwa hat Stadtpräsidentin Anne Hidalgo die Proteste und Streiks gegen die Rentenreform von Anfang an unterstützt. Die politische Opposition wirft ihr nun Versäumnisse im Amt vor: Ihr Nichtstun gefährde die Gesundheit und die Sicherheit der Bevölkerung. Und wenn sich in den Abfallbergen Ungeziefer eingenistet habe, werde die Entsorgung auch für die Kehrichtmänner zu einem Risiko für die Gesundheit.
Mit der Gesundheit hatte just auch die Gewerkschaft des Kehrichtpersonals argumentiert. Ihre Arbeit sei so gesundheitsschädlich, dass ihre Pensionierung mit 57 hoch verdient sei. Mit der Rentenreform würde das offizielle Rentenalter auf 59 Jahren steigen.
Der Streik mag enden, die Spuren bleiben
Die Gewerkschaft wollte dies nicht akzeptieren und hatte darum den Abfallstreik Anfang dieser Woche bis kommenden Montag verlängert. Nachdem die Regierung die umstrittene Rentenreform am Parlament vorbei in eigener Kompetenz beschlossen hat, wäre eine weitere Verlängerung möglich. Der Abfallberg werde weiter wachsen – und später umso schwieriger wieder abzutragen sein.
Aber auch falls der Abfallstreik nächsten Montag endet, dürfte es deutlich länger als eine Woche dauern, bis die Spuren auf den Trottoirs aus dem Strassenbild von Paris, von Nantes, Le Havre und anderen Städten wieder verschwunden sind.