Chinas Expansionsgelüste im Südchinesischen Meer kollidieren mit der Einflusssphäre der USA in Asien. Die Situation sei ähnlich gefährlich wie der Konflikt der USA mit Iran im Persischen Golf, sagt Fredy Gsteiger.
SRF News: In China wächst das Militärbudget seit Jahren. Gleichzeitig spricht Staatspräsident Xi Jinping vom «Chinesischem Traum» und darum, verlorene Territorien wieder China anzugliedern. Welche Gebiete sind gemeint?
Fredy Gsteiger: Es geht zum einen um Gebiete im Ostchinesischen Meer, da streiten sich China, Taiwan und Japan um Inselgruppen. Vor allem aber geht es um das Südchinesische Meer: Dort hat China die sogenannte Neun-Striche-Linie definiert. Das Land reklamiert aufgrund historischer Ansprüche weite Teile des Südchinesischen Meers für sich.
Allerdings sind diese historischen Ansprüche heute völkerrechtlich irrelevant. Seit 1994 regelt das UNO-Seerechtsübereinkommen, welchem Land welches Gebiet gehört. Aufgrund dieses Abkommens hat das ständige Schiedsgericht in Den Haag 2016 entschieden, dass im Streit zwischen China und den Philippinen die chinesischen Ansprüche nicht berechtigt sind.
Wie gehen die USA mit dieser neuen Politik Chinas um?
Die USA lehnen die chinesischen Ansprüche ab. Sie sind empört, protestieren und betrachten – in diesem Fall korrekterweise – das Südchinesische Meer als internationales Gewässer. Sie versuchen durch Patrouillenfahrten mit Kriegsschiffen klarzumachen, dass Chinas Ansprüche unrechtmässig sind.
Die USA versuchen, Chinas Nachbarstaaten den Rücken zu stärken – mit begrenztem Erfolg. All das führt natürlich dazu, dass die Spannungen in dieser Weltgegend zwischen den USA und China im Moment sehr gross sind.
Zwei ETH-Forscher schreiben in der «NZZ», ein Krieg zwischen den Grossmächten USA und China sei nicht ausgeschlossen. Wie sehen Sie das?
Ausgeschlossen ist das in der Tat nicht. Allerdings muss man berücksichtigen, dass weder China noch die USA oder auch die kleineren Staaten in der Region eine direkte Konfrontation riskieren möchten. Der Preis dafür wäre sehr hoch. Vor allem die Vereinigten Staaten scheinen nicht willens, ihn zu bezahlen.
Die Situation im Südchinesischen Meer ist ähnlich gefährlich wie diejenige im Persischen Golf.
Hingegen werden Kriege oft nicht einfach zu einem klaren Zeitpunkt begonnen. Man kann auch in einen Krieg hineinstolpern. Wenn die Spannungen hoch und die militärischen Möglichkeiten gross sind, braucht es oft nur einen kleinen Fehler für eine militärische Eskalation. Im Grunde genommen ist die Situation im Südchinesischen Meer ähnlich gefährlich wie der Konflikt zwischen Iran und den USA im Persischen Golf.
Wie weit sind wir heute von einer Art «Kaltem Krieg» entfernt?
Nach Meinungen mancher Beobachter hat dieser Kalte Krieg zwischen den USA und China bereits begonnen: mit Desinformationskampagnen, Hackerangriffen, wirtschaftlichen Zöllen und Boykotten, militärisch mit steigenden Spannungen – neu sogar im Gesundheitsbereich. Die Coronakrise scheint die Entwicklung, dass sich diese beiden Supermächte immer direkter gegenüberstehen, noch zu beschleunigen.
Wer von den beiden ist am längeren Hebel?
Es scheint, dass China strategisch geschickter vorgeht. Die Amerikaner haben es versäumt, auf ihre Stärke – ihre Alliierten – zu setzen. Die Regierung von Donald Trump pflegt diese Allianzen nicht mehr. China geht beharrlich seinen Weg, um seine Macht zu stärken. Das relative Gewicht verschiebt sich zugunsten von China, wenn auch die USA im Moment noch die Nase vorn haben.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.