«La marea verde», die grüne Flut – so nennen sich die Demonstranten, die seit Jahren in Argentinien für legale und kostenfreie Abtreibung kämpfen. Mit grünen Halstüchern und grünen Rauchfackeln versammelten sie sich auch in der Pandemie mehrfach vor dem Kongressgebäude in Buenos Aires, um Druck zu machen. Es war ein Wahlversprechen von Präsident Alberto Fernández, der nun einen Gesetzesentwurf vorgelegt hat, über den noch im Dezember in beiden Kammern des Parlaments abgestimmt werden soll.
«Die Kriminalisierung der Abtreibung hat nur dazu geführt, dass Abtreibungen heimlich stattfinden», erklärte Präsident Fernández in einer Ansprache. Es gelte, eine gesellschaftliche Realität anzuerkennen. Denn: Es gehe nicht um Abtreibung ja oder nein, sondern darum, «ob eine Abtreibung illegal oder in einem öffentlichen Krankenhaus mit der notwendigen medizinischen Versorgung vorgenommen wird.»
Dutzende sterben
Nach unterschiedlichen Schätzungen werden in Argentinien pro Jahr zwischen 300'000 und 500'000 Schwangerschaften unterbrochen. 50'000 Frauen landen später wegen Komplikationen in den Spitälern. Dutzende von ihnen sterben.
Wer sich für eine Abtreibung entscheidet, nutzt in der Verzweiflung egal welche Methode.
Intensivmedizinerin Andrea Das Neves begrüsst den Gesetzesentwurf der Regierung. Sie hat schon mehrfach Frauen sterben sehen nach einer illegalen Abtreibung. Und auch jene, die überleben, leiden oft ihr Leben lang unter den Folgen, berichtet die Ärztin. Ihr gehe es darum, das Leben der Frauen zu retten: «Wer sich für eine Abtreibung entscheidet, nutzt in der Verzweiflung egal welche Methode: Sonden, obskure Hausmittel oder unsichere Tabletten vom Schwarzmarkt, bei denen nicht klar ist, ob der Wirkstoff überhaupt enthalten ist und die ohne ärztliche Kontrolle eingenommen werden.»
Frauen, die nach einer illegalen Abtreibung sterben, sind meist bereits Mütter, berichtet Das Neves: «Sie haben im Schnitt schon vier Kinder, die dann ohne Mutter gross werden.» Man müsse nur ins Nachbarland Uruguay schauen, erklärt Das Neves. Dort ist eine legale Abtreibung seit 2012 möglich, die Müttersterblichkeit konnte deutlich gesenkt werden.
Ein gespaltenes Land
Doch das katholisch geprägte Argentinien ist gespalten. In Umfragen geben fast die Hälfte der Befragten an, gegen das neue Gesetz zu sein. Zuletzt am Samstag forderten Abtreibungsgegner, ihre Symbolfarbe ist blau, härtere Gesetze, ohne Ausnahmen: Zurzeit ist Abtreibung in Argentinien erlaubt, wenn eine Frau vergewaltigt wurde oder das Leben der Mutter in Gefahr ist.
Mónica del Río, Lehrerin und Anti-Abtreibungsaktivistin von dem Zusammenschluss Red Federal de Familias, erklärt: «Beim Ultraschall sieht man nicht, ob das Kind im Bauch einer Frau ein Wunschkind ist oder ob die Frau vergewaltigt wurde. Das Kind ist es ein unschuldiges Opfer.» Sogar der Papst mischte sich vor in die Diskussion ein. In einem Brief verglich er Abtreibung mit Mord: «Ist es fair, ein Menschenleben auszulöschen, um ein Problem zu lösen? Einen Auftragsmörder zu engagieren, um ein Problem zu lösen?»
Ist es fair, ein Menschenleben auszulöschen, um ein Problem zu lösen?
Der Gesetzesentwurf der Regierung versucht, auch konservative Parlamentsvertreter zu überzeugen: Die Sexualerziehung an Schulen soll besser werden, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Arme Mütter sollen in den ersten drei Lebensjahren eines Kindes mit dem Programm «1000 Tage» unterstützt werden, damit keine Frau aus finanziellen Gründen abtreibt.
Dennoch könnte die Abstimmung knapp ausfallen, besonders im konservativ besetzten Senat. Zuletzt war dort ein Versuch der Legalisierung vor zwei Jahren knapp gescheitert.