Die Eskalation konnte abgewendet werden, wieder einmal. Kosovo und Serbien haben im Streit um Autonummern einen vorläufigen Kompromiss erzielt. Die Einigung verkünden durfte am späten Mittwochabend der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell. In Brüssel war der Kompromiss nach einem Treffen der Chefunterhändler aus Kosovo und Serbien zustande gekommen. Die EU als erfolgreiche Vermittlerin – könnte man meinen. Doch der Eindruck täuscht: Im Hintergrund mussten die amerikanischen Diplomaten ein grösseres Feuer verhindern.
Anfang Woche war der Streit eskaliert, bei dem es letztlich darum geht, wer den mehrheitlich von der serbischen Minderheit bewohnten Norden Kosovos kontrolliert. Der serbische Präsident Vucic und der kosovarische Ministerpräsident Kurti konnten unter EU-Vermittlung keine Einigung erzielen. Kosovo kündigte an, dass kosovarische Fahrzeughalter mit serbischen Kennzeichen künftig gebüsst würden.
Eine Eskalation drohte. Doch dann intervenierte der amerikanische Botschafter in Pristina und forderte Kosovo auf, auf Bussen zu verzichten. Nur wenige Minuten später kam die kosovarische Regierung dieser Forderung nach. Zunächst für 48 Stunden, nach der gestrigen Einigung der Unterhändler nun bis auf Weiteres. Die kosovarische Präsidentin Osmani dankte nach der Einigung ausschliesslich den USA für die Vermittlungsdienste – die EU erwähnte sie gar nicht erst.
Die Episode zeigt: Ohne amerikanische Unterstützung kann die EU auf dem Balkan nicht viel bewegen. Einerseits hat dies mit dem ganz grundsätzlich grösseren geopolitischen Gewicht der USA in der Region zu tun: Eine der grössten amerikanischen Militärbasen ausserhalb der USA befindet sich in Kosovo – das hilft der diplomatischen Glaubwürdigkeit.
Alternativen zum Beitritt nötig
Andererseits hat sich die EU ihre Schwäche aber auch selbst zuzuschreiben. Seit Jahren versucht man eine Beitrittsperspektive für die Region am Leben zu erhalten, an die selbst in Brüssel kaum mehr jemand glaubt. Dass mit dem spanischen EU-Aussenbeauftragten Borrell und dem slowakischen EU-Balkangesandten Lajcak gleich zwei Schlüsselfiguren im EU-Team, das zwischen Serbien und Kosovo vermitteln soll, aus Ländern stammen, die Kosovo nicht als Staat anerkennen, steht symbolhaft für das oftmals fehlende Fingerspitzengefühl in Brüssel für die Region.
Wie aber könnte die EU auf dem Westbalkan wieder an diplomatischem Gewicht gewinnen? Sie müsste ehrlich kommunizieren, was die Menschen in der Region ohnehin schon lange wissen: Ein EU-Beitritt ist für die Staaten des Westbalkans in absehbarer Zeit nicht realistisch. Zu gross sind die Widerstände unter den EU-Mitgliedstaaten dagegen.
Nötig wäre eine realistische europäische Perspektive für die Region jenseits einer Vollmitgliedschaft. Der Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) könnte eine solche Alternative darstellen. Würden solche Alternativen in Brüssel ernsthaft verfolgt, könnte das diplomatische Gewicht der EU auf dem Balkan wieder zunehmen – und die Feuerwehr aus Washington würde vielleicht nicht mehr gebraucht.