Ein neues Gesetz stellt in Bosnien-Herzegowina die Leugnung von Völkermord unter Strafe. Zuvor waren im Parlament jahrelang Versuche gescheitert, eine solche Regelung per Gesetz zu verankern – vor allem am Widerstand ethnisch serbischer Politiker.
Erlassen hat die Vorschrift der Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina. Er vertritt die internationale Gemeinschaft im Land und wacht seit dem Ende des Krieges 1995 über die Einhaltung des Friedensvertrags.
Das Amt ist mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet, die der aktuelle Repräsentant Valentin Inzko aber kaum je genutzt hat. Ausser jetzt – kurz vor Ende seiner Amtszeit.
«Zum Mainstream geworden, den Völkermord von Srebrenica zu leugnen»
Im Juli 1995 hatten Polizei und serbische Paramilitärs in Srebrenica und Umgebung etwa 8000 bosnische Muslime getötet. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien sowie der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ordneten das Massaker als Völkermord ein. Serbische Nationalisten im gesamten ehemaligen Jugoslawien leugnen dies immer wieder.
Das Amt wurde geschaffen, weil man die Probleme kommen sah, dass sich die zerstrittenen nationalistischen Politiker im Land gegenseitig blockieren und damit den Frieden gefährden würden.
Christoph Wüthrich, Auslandredaktor von Radio SRF und zuständig für den Westbalkan, sagt: «Unter der serbischen Bevölkerung in Bosnien und auch in Serbien ist es zum Mainstream geworden, den Völkermord von Srebrenica zu leugnen.» Der Tenor: Damals wurde zwar ein furchtbares Verbrechen verübt – aber kein Völkermord. «Und gleichzeitig werden die Verantwortlichen der Verbrechen verherrlicht.»
Amt des Hohen Repräsentanten im Kreuzfeuer der Kritik
Die Intervention des Hohen Repräsentanten führte zu heftigem Protest. Milorad Dodik, der mächtigste serbische Politiker in Bosnien, polterte am Wochenende: Der serbische Landesteil – die Republika Srpska – müsse sich nun erst recht loslösen. Inzwischen hat er seinen Ton etwas gemässigt und eine Petition gegen das Gesetz lanciert.
Ins Kreuzfeuer der Kritik ist vor allem der Hohe Repräsentant geraten, der ohne demokratische Legitimation agiert. «Das Amt wurde geschaffen, weil man die Probleme kommen sah, dass sich die zerstrittenen nationalistischen Politiker im Land gegenseitig blockieren und damit den Frieden gefährden würden», so Wüthrich.
Valentin Inzko agierte zurückhaltend
Die ersten Amtsträger hätten ihre Kompetenzen ausgiebig genutzt und einst etwa den Präsidenten des serbischen Landesteiles abgesetzt. Unter Inzko habe man aber fast vollständig auf solche Eingriffe verzichtet. Auslandredaktor Christoph Wüthrich: «Die westlichen Mächte waren der Ansicht, dass Bosnien, das theoretisch EU-Mitglied werden will, spätestens bei einem EU-Beitritt ohne Vormund auskommen muss.»
Die politische Blockade im Balkan-Staat habe aber gezeigt, dass der Versuch gescheitert sei: «Es werden keine Probleme gelöst, die Wirtschaft darbt, und alle Jungen, die etwas können, wollen das Land verlassen.» Doch Wüthrich warnt: Damit das Amt auch künftig Akzeptanz finde, dürften allfällige Interventionen nicht einseitig zulasten der serbischen Minderheit gehen.
Auch international ist die Funktion des Hohen Repräsentanten umstritten. Letzte Woche starteten China und Russland im UN-Sicherheitsrat einen Versuch, das Amt abzuschaffen. Russland sieht sich traditionell als Schutzmacht der Serben. «Ihm kommt eine Destabilisierung der Region gelegen, damit schwächt es nämlich die USA und die EU. Und es kann den geplanten Nato-Beitritt Bosniens bremsen oder sogar verhindern.»
Schutzlos in der Schutzzone
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Bild 1 von 10. Am 11. Juli rücken die Truppen des bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladić in die muslimische Enklave Srebrenica, eine UNO-Schutzzone, ein. Tausende Menschen suchen danach Schutz am Stützpunkt der Blauhelme (Bild vom 12. Juli). Bildquelle: Reuters.
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Bild 2 von 10. Vor laufender Kamera trinkt der Kommandant der niederländischen Blauhelme, Thomas Karremans (Zweiter von rechts), am Abend des 12. Juli Schnaps mit Ratko Mladić (links). Karremans hatte in den Tagen zuvor umfassende Luftunterstützung der Nato angefordert, um den Vormarsch der bosnisch-serbischen Truppen zu stoppen – vergeblich. Bildquelle: Via Keystone.
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Bild 3 von 10. Die Truppen von Ratko Mladić (Zweiter von links) trennen ab dem 12. Juli die muslimischen Männer, darunter auch Jugendliche, von Frauen und Kindern. Bildquelle: Keystone/TV-Bild vom 12. Juli 1995.
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Bild 4 von 10. Die UNO-Blauhelme (Bild vom 16. Juli) ergeben sich Mladićs Truppen praktisch kampflos. Die Trennung der muslimischen Männer von Frauen, Kindern und Alten geschieht vor ihren Augen am Stützpunkt in Potočari. Niederländische Gerichte haben eine teilweise Mitschuld der Blauhelme am Tod von rund 350 Männern anerkannt. Bildquelle: Via Keystone.
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Bild 5 von 10. Mladićs Truppen transportieren die männlichen Muslime ab und ermorden sie an verschiedenen Tatorten rund um Srebrenica. Die meisten Toten werden zunächst in der Nähe der Tatorte verscharrt. Bildquelle: Via Keystone/Screenshot aus Video.
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Bild 6 von 10. Um das Geschehen zu vertuschen, heben die bosnisch-serbischen Truppen aber viele Massengräber mit schweren Baumaschinen wieder aus und vergraben die Leichen ein zweites Mal – in sogenannten sekundären Massengräbern weit von den Tatorten entfernt. Oft werden deshalb Überreste derselben Person an verschiedenen Orten gefunden. Bildquelle: Reuters.
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Bild 7 von 10. Die Hauptverantwortlichen für das Massaker von Srebrenica, Ratko Mladić (links) und der politische Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, wurden vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien zu lebenslanger Haft verurteilt – unter anderem wegen Völkermords. Bildquelle: Reuters.
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Bild 8 von 10. Die bosnisch-muslimischen Streitkräfte in Srebrenica standen unter dem Kommando von Naser Orić (Bild). Er soll zahlreiche Angriffe auf umliegende bosnisch-serbische Dörfer angeführt haben. Er wurde deshalb wegen Kriegsverbrechen in Den Haag angeklagt. Orić wurde in erster Instanz verurteilt, in zweiter Instanz aber freigesprochen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 10. Mehrere hundert bosnische Muslime aus Srebrenica werden auch heute noch vermisst. Immer wieder werden neue Massengräber entdeckt und Opfer identifiziert. Bildquelle: Keystone.
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Bild 10 von 10. Die neu identifizierten Opfer werden jedes Jahr am 11. Juli auf dem Friedhof von Potočari, einige Kilometer nördlich der Stadt Srebrenica, beigesetzt. Bildquelle: Keystone.
China seinerseits verfüge im Balkan über wachsenden wirtschaftlichen Einfluss und sei mit den korrupten Politikern bestens im Geschäft. «Peking hat kein Interesse daran, dass in Bosnien Transparenz-Regeln und Rechtsstaat eingeführt werden, wie sie die EU vorschreibt.»