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Sturm aufs US-Kapitol Die US-Demokratie ist noch nicht zur Normalität zurückgekehrt

Im US-Kongress wurde jetzt beglaubigt, was schon längst klar ist: Donald Trump hat im November die Präsidentschaftswahl deutlich gewonnen. Die Bestätigung im Parlament ist der letzte Schritt im komplizierten Elektorenwahlsystem. Eine reine Formalität, eigentlich kaum der Rede wert.

Doch seit 2021 seht der 6. Januar für einen beispiellosen Angriff auf die US-Demokratie. Donald Trump hatte in den Wochen davor versucht, die eigene Niederlage abzuwenden – mit der haltlosen Behauptung, es sei zu massivem Wahlbetrug gekommen. Der 6. Januar wurde zum erschreckenden Finale: Ein Mob aus Trump-Anhängern stürmte das Kapitol, um die Beglaubigung des Wahlresultats zu verhindern – angefeuert von Trump selbst. Es gab Tote und Verletzte.

Ins Gefängnis mussten andere – nicht Trump

Selbst nach dieser Gewalt stimmten damals 147 Republikanerinnen und Republikaner gegen die Beglaubigung des Wahlsiegs von Joe Biden. Viele dieser Wahlleugner sitzen heute noch im Kongress. Und Trump kam ungeschoren davon: Ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn scheiterte, durch seine Wiederwahl entzog er sich jeder strafrechtlichen Konsequenz. Ins Gefängnis mussten andere: Hunderte von Trump-Anhängerinnen und -Anhängern, die beim Sturm aufs Kapitol mitgemacht hatten.

Der 6. Januar 2021 ist im Detail dokumentiert – viele Gewaltszenen spielten sich live im Fernsehen ab. Doch nach vier Jahren scheint die Erinnerung daran zu verblassen. Und die Rechte in den USA versucht angestrengt, den 6. Januar zu verharmlosen und umzudeuten. Präsident Joe Biden selbst verfasste für die «Washington Post» einen Kommentar, in dem er seine Landsleute aufforderte, nicht zu vergessen, was am 6. Januar wirklich geschah. Und er sprach von einer «unerbittlichen Anstrengung», die Geschichte dieses Tages umzuschreiben.

Wird Trump Rache nehmen?

Tatsächlich scheint dieser Versuch Früchte zu tragen. Verschwörungstheorien zum 6. Januar sind in republikanischen Kreisen weit verbreitet: Linke Aufwiegler steckten hinter dem Sturm aufs Kapitol, vielleicht auch verdeckte Beamte der Bundespolizei FBI. Zum Beispiel auch Kash Patel hat solche Theorien weiterverbreitet: Unter Trump soll der Verschwörungstheoretiker bald das FBI leiten. Jene, die wegen des Sturms aufs Kapitol ins Gefängnis mussten, wurden hingegen zu Märtyrern erklärt.

Die «Geiseln des 6. Januars» müssten freigelassen werden, forderte Trump im Wahlkampf. Gut möglich, dass er als Präsident wenigstens einen Teil von ihnen begnadigt und sich an jenen rächt, die es wagten, den Sturm aufs Kapitol zu untersuchen. Liz Cheney gehöre ins Gefängnis, sagte er. Cheney, damals republikanische Abgeordnete, gehörte der parlamentarischen Untersuchungskommission zum 6. Januar an.

Heute, vier Jahre später, ist die US-Demokratie immer noch nicht zur Normalität zurückgekehrt – auch wenn die heutige Bestätigung des Wahlresultats den Eindruck von Normalität vermitteln könnte.

Andrea Christen

USA-Korrespondent

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Andrea Christen ist USA-Korrespondent für Schweizer Radio SRF. Zuvor war er stellvertretender Redaktionsleiter von SRF 4 News und Auslandredaktor. Er arbeitet seit 2010 für SRF.

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Info 3, 6.01.2025, 17:00 Uhr

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