«Ferraris, Porsches, Lamborghinis … man findet hier alles, was es so gibt.» Wenn Vumile Butela aufzählt, welche Autos manchmal an seinem Arbeitsort auffahren, merkt man ihm den Stolz an. Und die Freude darüber, dass das Leben der schwarzen Bevölkerung in Südafrika vor drei Jahrzehnten eine historische Wende genommen hat. Seitdem haben immer mehr Schwarze Wohlstand erreicht.
Vumile Butela ist Superviser beim PDL Car Wash in Pimville, Soweto, südwestlich von Johannesburg. Auf die Frage, warum eine Luxuskarosse erstrebenswert sein soll, antwortet er: «Wir Schwarzen kommen von weit unten, aus einer Zeit, in der wir uns nichts leisten konnten. Wir haben also etwas aufzuholen.»
Mit der Wahl von Nelson Mandela zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas 1994 endete der jahrzehntelange Kampf der schwarzen Mehrheitsbevölkerung gegen das weisse Apartheidregime. Seither regiert der ANC, der African National Congress, das Land. Einer der Pfeiler seiner Politik: Die Förderung der Schwarzen in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat. Einige wenige sind seither sehr reich geworden, gewachsen ist aber auch der Schwarze Mittelstand, gerade auch in Soweto. Soweto steht für South Western Townships und war einst eine Hochburg des Widerstands der Schwarzen gegen das Apartheidregime, aber auch ein Symbol für Armut, Elend und Gewalt. Heute ist Soweto ein Ort, der eine grosse Entwicklung hinter sich hat, wo es nebst Armenvierteln auch stattliche Villen und moderne Shoppingcenter – und eben Ferraris, Porsches und Lamborghinis – gibt.
Je nach Definition gehören mindestens sieben Prozent der rund 49 Millionen Schwarzen Südafrikas zum Schwarzen Mittelstand. Das ist eine immer noch kleine, aber bedeutende Schicht. Denn der Mittelstand wird Gewicht haben, wenn am 29. Mai das Land ein neues Parlament wählt.
Doch wen wählen? Und warum? Gerade der Schwarze Mittelstand steht vor der Frage: Was wiegt schwerer, die Vergangenheit oder die Gegenwart?
Denn der ANC hat eine ernüchternde Bilanz vorzuweisen: Die Korruption ist ein grosses Übel im Land und die Selbstbedienungsmentalität von Politikern – gerade auch mit ANC-Parteibuch – Grund für viel Wut bei der Bevölkerung. Die Kriminalität ist allgegenwärtig; allein die Mordrate in Südafrika zählt zu den höchsten weltweit. Die Arbeitslosenrate unter den Erwachsenen liegt bei offiziell über 30 Prozent, das sind rund 10 Prozentpunkte mehr als 1994. Unter den 15-34-Jährigen hat sogar fast die Hälfte keine Arbeit. Und nirgends weltweit sind Einkommen und Vermögen so ungleich verteilt wie in Südafrika.
Seit Jahren verliert der ANC deshalb bei der Wählerschaft kontinuierlich an Zuspruch – nun steht sogar die absolute Mehrheit im Parlament auf dem Spiel.
Gleichzeitig hat keine Regierung so viel für die schwarze Mehrheitsbevölkerung in Südafrika getan wie der ANC. «Es war der ANC, der der Apartheid das Genick brach, der die Gesetze und Vorschriften änderte und dem Schwarzen Mittelstand die Türe geöffnet hat», sagt David Everatt, der die südafrikanische Politik seit mehr als 30 Jahren analysiert.
«Der ANC hat uns befreit», betont auch der 62-jährige Phillip Thapama Kgori aus Soweto. Er habe die Apartheid erlebt, sagt er, habe gespürt, was es bedeute, als Schwarzer vor einem Weissen zu stehen. «Wenn Sie unter dem Apartheidregime gelebt hätten, würden Sie verstehen, aus welchem Leben uns die Leute vom ANC befreit haben».
Natürlich sei die Korruption, gerade auch innerhalb des ANC, ein grosses Problem. Statt sich solidarisch für das Land zu engagieren, bekämpften sich die Politiker gegenseitig um den besten Zugang zu den Geldtöpfen.
Doch die Vertreter der anderen Parteien seien keinen Deut besser. Deshalb wähle er lieber «den Teufel, den ich kenne», als einen unbekannten, der «genauso 30 Jahre lang korrupt sein und stehlen will».
Die Korruption macht auch vor staatlichen Unternehmen nicht halt. Mit weitreichenden Folgen. Seit rund 15 Jahren leidet Südafrika unter regelmässigen Stromausfällen, zum Teil mehrmals am Tag. Der staatliche Stromversorger ESKOM kann die Nachfrage nicht decken. Loadshedding heisst das in Südafrika. Das liegt nicht nur an den veralteten Kohlekraftwerken im Land, sondern auch an korrupten Strukturen, Missmanagement und Sabotage. Gerade für kleinere Unternehmen kann dies existentielle Folgen haben. Etwa für Restaurants, wie jenes von Selina Mhkabela, Mitglied in der Frauenliga des ANC.
Die 81-Jährige musste ihr Restaurant im Dezember 2022 nach fünf Jahren schliessen, weil die ständigen Stromausfälle ihr Geschäft ruinierten. Der Generator, den sie hatte, ging kaputt, eine Reparatur war zu teuer. Doch ohne Strom keinen Kühlschrank, ohne Kühlschrank keine kalten Getränke und verdorbene Lebensmittel. Die Folge: Die Gäste bleiben weg. «Unsere Gewinne», sagt Selina Mkhabela, «landeten buchstäblich im Abfall.»
Der ANC war lange genug an der Macht. Jetzt sollen andere übernehmen.
Selina Mkhabela ist nicht die einzige. Unter der Stromkrise leidet auch die Wirtschaft, auf allen Ebenen. Und die Moral der Menschen. «Unser Land», so konstatiert denn auch die 26-jährige Pearl, «ist im Niedergang». Pearl gehört zu den sogenannten «Born Free», jenen schwarzen Südafrikanerinnen, die die Apartheid nicht mehr selbst erlebt haben. Sie ärgert sich nicht nur, dass regelmässig der Strom ausfällt. Sie ist auch frustriert darüber, dass die Jungen keine Perspektiven hätten, sagt sie. Auch wer wie sie studiert habe, sei ohne Beziehungen auf dem Arbeitsmarkt chancenlos. «In der Schule sagt man uns: Lernt, damit ihr Chancen habt», klagt sie. Und dann komme man raus, mit dem Diplom in der Tasche und merke: Ein Job? Ohne Beziehungen? «Vergiss es.»
In der Not hat sich Pearl selbständig gemacht, ihr Einkommen als D-Jane ermöglicht ihr ein Leben im Mittelstand. Sie geniesst heute viele Freiheiten, die ihren Eltern verwehrt geblieben sind. Dennoch hat der ANC für sie den Nimbus der Freiheitsbewegung verloren. «Der ANC war lange genug an der Macht», findet Pearl deshalb, «jetzt sollen andere übernehmen».