In der Nacht auf Montag (Schweizer Zeit) sind Schiffe der philippinischen und der chinesischen Küstenwache aneinandergeraten. Beide Seiten werfen einander Absicht vor. Der Zwischenfall ist Teil eines seit Langem schwelenden Konflikts. Der SRF-Südostasien-Korrespondent Martin Aldrovandi ordnet die Situation ein.
Was ist passiert?
Die Aussagen beider Seiten sind widersprüchlich. Die chinesische Seite hat ein Schwarz-Weiss-Video veröffentlicht, das zeigen soll, dass die philippinische Seite absichtlich mit dem chinesischen Schiff kollidiert sei. Die philippinische Seite wiederum spricht von einer chinesischen Aggression. Es ist aber auch wichtig zu sagen, dass der Zusammenstoss innerhalb der exklusiven Wirtschaftszone der Philippinen stattgefunden hat – und wenn man sich den Ort auf der Karte anschaut, sieht man, dass das ziemlich weit weg von China und ziemlich nah an den Philippinen ist.
Was will China im Südchinesischen Meer?
Es beansprucht fast das gesamte Gebiet für sich. Dabei beruft es sich auf historische Ansprüche. Es gibt die sogenannte Nine-Dash-Line (Neun-Punkte-Linie), die von China bis ganz in den Süden reicht – und sich auch mit den exklusiven Wirtschaftszonen der Anreinerstaaten überschneidet. Ein Schiedsgericht in Den Haag hat 2016 denn auch die Ansprüche Chinas zurückgewiesen und den Philippinen recht gegeben. Ich konnte vor einiger Zeit mit dem Mann sprechen, der die Klage damals angestrengt hatte: Er ist sehr frustriert, weil das Gericht das Urteil nicht durchsetzen kann. China setzt auf das Recht des Stärkeren – dem haben die Philippiner wenig entgegenzusetzen.
Was bedeutet der Konflikt für die Menschen in der Region?
Viele der Menschen vor Ort leben seit Generationen vom Fischfang. Nun werden sie zum Teil aus diesen Gebieten vertrieben und können dort nicht mehr fischen. Das hat wirtschaftliche Folgen für ganze Küstengebiete. Die Betroffenen beklagen, dass die philippinische Küstenwache sie nicht wirklich schützen kann. China setzt nicht nur Kriegsschiffe oder die Küstenwache ein, sondern auch chinesische Fischer, die den philippinischen zahlenmässig überlegen sind und diese einschüchtern und vertreiben.
Warum ist das Gebiet für beide Seiten so wichtig?
Der Vorfall ereignete sich südöstlich des Sabina-Riffs, das für die Philippinen wichtig ist, weil es dort grosse Gasvorkommen gibt, die sie anzapfen wollen. Das will Peking verhindern. Das nahe gelegene «Zweite Thomas-Riff» ist wichtig für die Kontrolle der Seewege. Die Philippinen sind dort mit wenigen Soldaten auf einem alten, ausrangierten Kriegsschiff stationiert. Das haben sie dort absichtlich auf Grund laufen lassen, um sozusagen die Stellung zu halten.
Wie sieht die Diplomatie aus?
Im Juli schlossen die Philippinen und China eigentlich ein Abkommen. Viel ist darüber nicht bekannt – aber es soll um die Versorgung der stationierten Soldaten vor Ort gegangen sein. Die Philippinen treten seit dem Amtsantritt von Ferdinand Marcos Junior bestimmter auf. Unter der Vorgängerregierung Duterte suchte man noch die Annäherung an China.
Droht eine Eskalation?
Das ist schwer zu sagen. Im Südchinesischen Meer sind nicht nur die Philippinen und China vertreten, sondern auch andere Anreinerstaaten und die USA. Letztere wollen Präsenz markieren und zeigen, das sie die Ansprüche Chinas nicht akzeptieren. Die Anreinerstaaten suchen daher verstärkt die Nähe zu Washington. In dieser Konstellation kann es durchaus zu Missverständnissen mit unbeabsichtigten Folgen kommen.