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Tag der Elektoren in den USA Politologin: «Kaum Überraschungen zugunsten von Trump»

Die 538 Wahlleute in den USA stimmen heute stellvertretend für das Volk über den künftigen US-Präsidenten ab. Aller Voraussicht nach erhält der designierte US-Präsident Joe Biden 306 Stimmen, Donald Trump 232. Unter normalen Umständen würde längst von einer definitiven Wahl gesprochen, sagt die Amerikanistik-Dozentin Claudia Brühwiler.

Claudia Brühwiler

Politologin

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Die Politologin Claudia Brühwiler ist Dozentin für Amerikanistik an der Universität St. Gallen.

SRF News: Welche Bedeutung hat diese Stimmabgabe der Elektoren für Joe Biden?

Claudia Brühwiler: In einem normalen Wahljahr wäre es nur noch eine Formalität. Doch angesichts des Säbelrasselns in Vorfeld ist es ein wichtiger symbolischer und auch rechtlicher Schritt, damit das Wahlergebnis nun endlich definitiv ist.

Es wäre möglich, dass Elektoren nicht so stimmen, wie es ihnen die Stimmbevölkerung in den Bundesstaaten aufgetragen hat. Rechnen Sie mit Überraschungen?

Nein, ich gehe nicht davon aus, dass es zu Überraschungen kommt. Historisch gesehen sind 99 Prozent der Wahlmänner und -frauen zuverlässig.

Die Republikaner haben die Wahlresultate in den einzelnen Bundesstaaten mehrfach angegriffen. Wäre es nicht merkwürdig, wenn es keinen Angriff auf die Stimmabgabe der Elektoren geben würde?

Nach dem letzten Entscheid des Supreme Court zum Angriff aus dem Gliedstaat Texas ist es sehr ruhig geworden. Viele Generalstaatsanwälte liessen vermelden, dass dies der letzte ernsthafte Versuch gewesen sei. Die Elektoren sind von den einzelnen Siegerparteien gestellte Personen, die sehr sorgfältig ausgewählt werden. Es fragt sich wirklich, wer da noch ausscheren könnte, vor allem in einem Staat, wo die Demokraten gewonnen haben. Man könnte sich noch eher vorstellen, dass der eine oder andere republikanische Elektor ein Statement abgeben möchte.

Was wären die Konsequenzen für treulose Elektoren?

Immerhin kennen 33 Staaten Gesetze, um das zu verhindern. Dabei sind die Strafen eher gering, schlimmstenfalls Bussen. Aber ihre Stimmen können gestrichen und das Stimmergebnis ersetzt werden. Damit würde das Statement wieder zunichtegemacht, dass man mit dem Ausscheren bezweckte.

Was heisst das für Donald Trump, der noch immer von Wahlbetrug spricht? Wie wird er auf das Ergebnis der Stimmabgabe der Elektoren reagieren?

Höchstwahrscheinlich wird er sein Interesse auf den Januar verschieben, denn die Elektoren-Stimmabgabe ist nur die zweitletzte Hürde, die Biden nehmen muss. Am 6. Januar wird der Kongress das Ergebnis bestätigen müssen. Da wird bereits gemunkelt, dass Republikaner einen letzten Angriff starten könnten. Über das Prozedere wird der Vizepräsident wachen. Aber das Fensterchen ist zu verschwindend klein, als das da noch ein Wahlsieger Trump durchgehen könnte.

Am 6. Januar werden die Resultate Staat für Staat bestätigt werden müssen – sowohl von den Abgeordneten des Repräsentantenhauses wie auch von den Senatoren. Hierbei könnten ein Senator und ein Repräsentant – schriftlich mit einer Erklärung – das Resultat eines Staates jeweils in Zweifel ziehen. Es bräuchte aber eine Mehrheit in beiden Kammern, um das Resultat zurück an den Absender zu schicken. Das ist fast unmöglich zu schaffen, zumal die Demokraten im Repräsentantenhaus die Mehrheit haben. Auch im Senat gibt es bereits Republikaner, die den Wahlsieg Bidens anerkannt haben.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

SRF 4 News, 14.12.2020, 06:15 Uhr ; 

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