Russland feiert heute den Sieg über Nazideutschland vor 78 Jahren. Es ist traditionell einer der wichtigsten Feiertage im Land. In Moskau wird deshalb – ungeachtet des Überfalls auf die Ukraine, der vor mehr als 14 Monaten begann – eine grosse Militärparade abgehalten.
Anders sieht es in mehr als 20 weiteren grösseren Städten Russlands aus. Dort fallen die Militärparaden und offiziellen Feierlichkeiten aus – meist machen die örtlichen Behörden dafür Sicherheitsgründe verantwortlich.
Vorgeschobene Begründung für Absagen
Ausser in grenznahen Städten sei es allerdings keineswegs plausibel, dass die Ukraine solche russischen Paraden angreifen könnte, sagt SRF-Russlandspezialist Calum MacKenzie. Trotzdem seien unter dieser Begründung auch in Sibirien Militärparaden abgesagt worden.
Der unmittelbare Grund für die Absagen liege wohl darin, dass das vorführbare Kriegsgerät entweder für den Angriffskrieg in der Ukraine gebraucht werde – oder dort bereits zerstört worden sei.
Auch hätten manche Truppengattungen, die normalerweise paradieren – so etwa die Fallschirmjäger – in der Ukraine immense Verluste im Krieg erlitten. Mit den Restbeständen lasse sich bei den Paraden deshalb nicht vermitteln, dass die russische Armee in einem guten Zustand sei.
Russen zum Kriegsdienst motivieren
Der Kreml nutzt die Absagen auch dazu, eine Botschaft an die Russinnen und Russen auszusenden: «Russland gibt zu, dass es verwundbar ist und dass die Gefahr vonseiten der Ukraine real ist», sagt MacKenzie. Das passe ins neue Narrativ des Putin-Regimes: Demnach ist Russland durch die Ukraine und vom Westen bedroht – und muss sich verteidigen.
Im Volk soll sich die Idee festsetzen, dass man sich im Verteidigungskampf befinde.
«Der Kreml macht eine Art Seiltanz: Man will Stärke vermitteln und gibt keine Fehler zu. Aber es soll sich im Volk auch die Idee festsetzen, dass man sich in einem Verteidigungskampf befinde», so MacKenzie.
Damit versuche Moskau, die Bevölkerung hinter sich zu scharen und die Männer aufzurütteln, sich vermehrt zum Kriegsdienst zu melden. Putin wolle eine neue Mobilmachung möglichst vermeiden, brauche aber unbedingt mehr Männer für die Front.
Möglichst nichts mit dem Krieg zu tun haben
Neuste Umfragen in Russland zeigen, dass die Unterstützung für den Krieg gegen die Ukraine nach wie vor gross ist, dass sich die Russinnen und Russen dafür aber nicht begeistern: Die Leute bleiben passiv und hoffen, mit der «Spezialoperation» möglichst nichts zu tun zu bekommen.
Die Russinnen und Russen wollen also nichts mit dem Krieg zu tun haben – entsprechend gibt es kaum mehr Aktionen von Kriegsgegnern in Russland. «Der Widerstand gegen den Krieg ist fast vollständig zerschlagen», stellt MacKenzie fest.
Entsprechend ist am heutigen Tag des Sieges auch nicht mit Protestaktionen gegen den aktuellen Krieg in der Ukraine zu rechnen.