Am 7. Januar 2015 stürmten islamistische Terroristen die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Zwölf Menschen kamen bei dem Terroranschlag ums Leben. Wie hat sich die satirische Arbeit seither verändert? Bei «Titanic», dem grössten Satiremagazin Deutschlands, macht man keinen Bogen um religiöse Themen. Nur die Aufmerksamkeit für die Branche habe sich nach dem Anschlag verändert, erklärt die Chefredaktorin im Interview.
SRF News: War das Attentat auf die Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» eine Zäsur?
Ich weiss nicht, ob ich Zäsur sagen würde. Aber was ich auf jeden Fall gemerkt habe, ist, dass Satire auch in Deutschland danach plötzlich einen ganz anderen Stellenwert hatte. Es gab eine Welle der Solidarität – auch mit «Titanic». Die hielt aber nur so lange an, wie das Thema in den Medien war. Nach drei, vier Wochen war das wieder vorbei und es war wieder so wie vor dem Anschlag. Also, dass Satire und komische Kunst nicht so viel Beachtung fanden und zum Teil auch mit Unverständnis reagiert wurde.
Wie hat sich die Satire seitdem verändert? Wie nehmen Sie das wahr?
Bei uns hat sich nicht viel geändert. Wir haben immer noch religiöse Themen und machen auch jetzt keinen Bogen um den Islam oder den islamistischen Terror. So haben wir zum Beispiel Texte über Linksextreme und Islamisten publiziert. Es hat auch schon mal jemand Osama bin Laden bei uns im Fotoroman gespielt. Und wir hatten auch was über die Tugendregeln der Taliban geschrieben. Man muss aber auch sagen, dass unsere Ausrichtung ein bisschen anders ist als bei «Charlie Hebdo», wo das Antireligiöse im Zentrum steht. Bei uns ist Religion auch ein Thema, aber nicht so zentral. Und auch die humoristische Ausrichtung ist bei uns etwas anders.
Wie geht man heute in der Branche mit solchen religiösen Themen um?
Ich glaube nicht, dass man jetzt anders damit umgeht. In der ersten Zeit nach dem Anschlag war es vielleicht noch ein bisschen anders. Seither hat sich aber viel getan. Man muss auch sagen, dass der islamistische Terror Mitte der Zehnerjahre ein sehr grosses Thema war. Seither ist er wieder mehr aus der Berichterstattung verschwunden oder zumindest nicht mehr so präsent wie damals.
Wie steht es um Ihr Publikum? Wie sensibel reagiert die Leserschaft auf heikle Themen?
Unsere Erfahrung ist, dass Menschen auf alle möglichen Themen sensibel reagieren können. Deswegen ist dieses Kriterium, ob sich jemand verletzt fühlt, kein gutes. Es lässt sich erstens nur schwer vorhersagen: Manchmal gibt es auch bei Randthemen wie überschätzten Lebensmitteln einen Shitstorm; das hatten wir auch schon. Etwa, als wir einen Text über die «Sommerrolle» publizierten.
Es gibt keine Themen, die wir komplett ausklammern würden.
Und es ist auch einfach kein gutes Kriterium, wenn man alles weglässt, was zu kritischen Reaktionen führen könnte. Denn dann ist man ganz schnell am Ende mit der Satire und kann eigentlich nur noch belanglose Sachen machen.
Das heisst, Satire darf noch alles, was sie vor zehn oder vor 20 Jahren durfte?
Ja, das würde ich sagen. Im künstlerischen Sinn gibt es natürlich immer Einschränkungen. Wir haben ja einen Anspruch, dem wir gerecht werden müssen. Und der Witz muss stimmen. Das ist ein wichtiges Kriterium, das man nicht ausser Acht lassen darf. Insofern gibt es schon gewisse Einschränkungen. Aber es gibt keine Themen, die wir komplett ausklammern würden.
Das Gespräch führte Tim Eggimann.