Zum Inhalt springen

Terror in Paris 2015 Zehn Jahre nach «Charlie Hebdo»: Was darf Satire?

Am 7. Januar 2015 stürmten islamistische Terroristen die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Zwölf Menschen kamen bei dem Terroranschlag ums Leben. Wie hat sich die satirische Arbeit seither verändert? Bei «Titanic», dem grössten Satiremagazin Deutschlands, macht man keinen Bogen um religiöse Themen. Nur die Aufmerksamkeit für die Branche habe sich nach dem Anschlag verändert, erklärt die Chefredaktorin im Interview.

Julia Mateus

Chefredaktorin des Satiremagazins «Titanic»

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Schon in der Schule und während des Studiums beschäftigte sich die Deutsche mit Satire. Später arbeitete die 1984 geborene Mateus unter anderem für Spiegel Online und schrieb als freie Autorin für diverse Zeitungen und Magazine. Seit 2020 ist sie bei der 1979 gegründeten Satirezeitschrift «Titanic», seit 2022 ist sie deren Chefredakteurin.

SRF News: War das Attentat auf die Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» eine Zäsur?

Ich weiss nicht, ob ich Zäsur sagen würde. Aber was ich auf jeden Fall gemerkt habe, ist, dass Satire auch in Deutschland danach plötzlich einen ganz anderen Stellenwert hatte. Es gab eine Welle der Solidarität – auch mit «Titanic». Die hielt aber nur so lange an, wie das Thema in den Medien war. Nach drei, vier Wochen war das wieder vorbei und es war wieder so wie vor dem Anschlag. Also, dass Satire und komische Kunst nicht so viel Beachtung fanden und zum Teil auch mit Unverständnis reagiert wurde.

Wie hat sich die Satire seitdem verändert? Wie nehmen Sie das wahr?

Bei uns hat sich nicht viel geändert. Wir haben immer noch religiöse Themen und machen auch jetzt keinen Bogen um den Islam oder den islamistischen Terror. So haben wir zum Beispiel Texte über Linksextreme und Islamisten publiziert. Es hat auch schon mal jemand Osama bin Laden bei uns im Fotoroman gespielt. Und wir hatten auch was über die Tugendregeln der Taliban geschrieben. Man muss aber auch sagen, dass unsere Ausrichtung ein bisschen anders ist als bei «Charlie Hebdo», wo das Antireligiöse im Zentrum steht. Bei uns ist Religion auch ein Thema, aber nicht so zentral. Und auch die humoristische Ausrichtung ist bei uns etwas anders.

Wie geht man heute in der Branche mit solchen religiösen Themen um?

Ich glaube nicht, dass man jetzt anders damit umgeht. In der ersten Zeit nach dem Anschlag war es vielleicht noch ein bisschen anders. Seither hat sich aber viel getan. Man muss auch sagen, dass der islamistische Terror Mitte der Zehnerjahre ein sehr grosses Thema war. Seither ist er wieder mehr aus der Berichterstattung verschwunden oder zumindest nicht mehr so präsent wie damals.

Wie steht es um Ihr Publikum? Wie sensibel reagiert die Leserschaft auf heikle Themen?

Unsere Erfahrung ist, dass Menschen auf alle möglichen Themen sensibel reagieren können. Deswegen ist dieses Kriterium, ob sich jemand verletzt fühlt, kein gutes. Es lässt sich erstens nur schwer vorhersagen: Manchmal gibt es auch bei Randthemen wie überschätzten Lebensmitteln einen Shitstorm; das hatten wir auch schon. Etwa, als wir einen Text über die «Sommerrolle» publizierten.

Es gibt keine Themen, die wir komplett ausklammern würden.

Und es ist auch einfach kein gutes Kriterium, wenn man alles weglässt, was zu kritischen Reaktionen führen könnte. Denn dann ist man ganz schnell am Ende mit der Satire und kann eigentlich nur noch belanglose Sachen machen.

Das heisst, Satire darf noch alles, was sie vor zehn oder vor 20 Jahren durfte?

Ja, das würde ich sagen. Im künstlerischen Sinn gibt es natürlich immer Einschränkungen. Wir haben ja einen Anspruch, dem wir gerecht werden müssen. Und der Witz muss stimmen. Das ist ein wichtiges Kriterium, das man nicht ausser Acht lassen darf. Insofern gibt es schon gewisse Einschränkungen. Aber es gibt keine Themen, die wir komplett ausklammern würden.

Das Gespräch führte Tim Eggimann.

Attentat am 7. Januar 2015

Box aufklappen Box zuklappen
Menschen umarmen sich bei Nacht mit 'Je Suis Charlie'-Schild.
Legende: Das Attentat auf die Satirezeitschrift löste eine beispiellose Solidaritätswelle aus. Der Spruch «Je suis Charlie» (Ich bin Charlie) ging um die Welt. EPA/ANGELO CARCONI

Zwei islamistische Attentäter sind am 7. Januar 2015 in das Redaktionsgebäude von «Charlie Hebdo» eingedrungen und töteten dort und später auf ihrer Flucht zwölf Menschen. Unter den Todesopfern waren einige der damals bekanntesten Karikaturisten des Landes.

Nach einer zweitägigen Verfolgungsjagd erschoss die Polizei die beiden Täter, die Brüder Chérif und Saïd Kouachi, nördlich von Paris. Die beiden hatten sich dem Terrornetzwerk Al-Kaida angeschlossen.

Zwei Tage nach dem Anschlag auf «Charlie Hebdo» tötete ein Komplize der Brüder Kouachi in einem Geschäft vier Menschen. Der Täter nahm in dem Laden mehrere Menschen als Geiseln, um freies Geleit für die Attentäter zu erpressen. Bereits am Tag davor hatte er im Vorort Montrouge eine Stadtpolizistin erschossen.

«Charlie Hebdo» war von Islamisten bedroht worden, seit die Zeitschrift 2006 die Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung «Jyllands-Posten» nachgedruckt hatte.

SRF4 News, 7.01.2025, 16:00 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel