SRF News: Die spanische Polizei hat in Barcelona zwei Verdächtige verhaftet. Was weiss man über die Täter?
Hans Günter-Kellner: Man weiss bislang wenig über die Verhafteten. Einer ist schon 2012 polizeilich in Erscheinung getreten, vermutlich war das vor seiner Radikalisierung. Er war 2012 kurz in Haft wegen Gewalt in der Familie. Die beiden Verhaftungen stehen im Zusammenhang mit der Anmietung des Lieferwagens von Barcelona, aber beide sind nicht der Fahrer.
Sind islamische Radikale aus Marokko in Spanien schon früher in Erscheinung getreten?
Es gab 2004 Anschläge mit fast 200 Toten auf Vorortszüge in Madrid. Auch hier waren die Täter zum grossen Teil Marokkaner. Die Marokkaner sind die grösste Gruppe der Muslimen in Spanien. In Spanien leben etwa zwei Millionen Muslime, die meisten davon sind keine Radikalen. Zwischen 2013 und 2016 sind 180 radikalisierte Muslime verhaftet worden. Davon waren die meisten Marokkaner oder Spanier mit marokkanischem Hintergrund. Die Marokkaner sind die nicht nur die grösste Gruppe der Muslime in Spanien, sondern sie machen auch den grössten Teil der radikalisierten Muslime aus.
Die Anschläge haben im Nordosten von Spanien stattgefunden. Ist dort das Zentrum der radikalislamischen Szene in Spanien?
Davon gehen die Sicherheitskräfte aus. Sie halten Barcelona für einen Hotspot des Dschihadismus in Spanien. Die Hälfte der salafistischen Gemeinden, die als Horte der Radikalisierung gelten, sind in Barcelona. Es gab schon 2010 eine Nachricht der amerikanischen Botschaft an das Auswärtige Amt der USA, dass sich in Barcelona eine salafistische Szene ausbildet, die für den gesamten Mittelmeerraum gefährlich werden könnte. Insofern muss man leider sagen, dass Barcelona das Zentrum des Dschihadismus zumindest in Spanien ist.
Wie aktiv ist die radikalislamische Szene in Spanien?
Sie sammeln Geld und werben Kämpfer für Syrien an. Man muss allerdings sagen, dass diese Szene nicht den Umfang wie die Szene in Belgien oder in Frankreich hat. Es sind weniger als 100 muslimische Kämpfer aus Spanien für Syrien rekrutiert worden. Das sind deutlich weniger als aus anderen europäischen Ländern und auch deutlich weniger als aus Marokko. Dort waren es rund 1500. Die Szene in Barcelona ist relativ zurückhaltend, denn Spanien nimmt relativ früh Verhaftungen vor. Es gibt ein neues Gesetz in Spanien, das schon das Aufrufen von salafistischen Seiten verbietet.
In anderen Ländern gab es nach solchen Attacken jeweils sofort Kritik an der Integration von Muslimen im Land. Wie ist das in Spanien?
Spanien hat kein Integrationsmodell, weil Spanien der Meinung ist, wenn man die Leute in Ruhe lässt und ihnen kein Modell aufzwingt, dann integrieren sie sich auch besonders leicht. Da spricht laut Soziologen auch einiges dafür, weil aufgezwungene Modelle schnell zum Widerstand führen.
Spanien hat kein Integrationsmodell, weil das Land der Meinung ist, wenn man die Leute in Ruhe lässt integrieren sie sich leicht.
In der spanischen Politik gab es bislang wenig fremdenfeindliche Tendenzen. Rechnen Sie hier mit einem Umschwung?
Ganz im Gegenteil, die Bürgermeisterin von Barcelona hat schon gestern gesagt, dass Barcelona eine weltoffene, kosmopolitische Stadt ist und das auch weiterhin bleiben wird. Sie wird sich das nicht nehmen lassen von den Radikalen. Das war auch schon zu Zeiten des ETA-Terrorismus so. Die Gesellschaft wusste, dass das Abschaffen von demokratischen Freiheiten den Radikalen in die Hände spielen würde. Insofern ist damit nicht zu rechnen, sondern mit einem Zusammenrücken. Man wird versuchen, die marokkanischen Einwanderer stärker zu integrieren.