Im März stürmt ein Rechtsterrorist im neuseeländischen Christchurch zwei Moscheen und tötet 51 Menschen. Der Attentäter filmt die Tat aus der Ego-Perspektive und verbreitet die Bilder live auf Facebook. In einschlägigen Foren wird er als Held gefeiert.
Schnell werden Warnungen laut, der Terror im Livestream rufe Nachahmer auf den Plan. Am Mittwoch könnte in Halle genau das passiert sein, glaubt Holger Schmidt, Terrorexperte der ARD: «Mein Eindruck ist, dass der Täter Christchurch nachahmen wollte.»
Auch der Attentäter von Halle versuchte seinen Terror wie ein Computerspiel zu inszenieren. Wie der norwegische Massenmörder Anders Breivik veröffentlichte er ein Manifest, das seine Tat legitimieren soll.
Verunglückter Terroranschlag
In Halle agierte der Täter überhastet, nervös, wirkte teils orientierungslos. «An einer Stelle bezeichnet er sich als totalen Versager, der nichts hinkriegt», so Schmidt. Am Ende sterben «nur» zwei Menschen. Sein eigentliches Ziel – die Synagoge, in der sich Dutzende Menschen aufhalten – erreicht der Mann nicht.
Seit den Schreckenstaten des NSU-Netzwerks ist es gelungen, eine ganze Reihe ähnlicher Gruppen rechtzeitig zu entdecken.
Das Video des Attentäters sei ein «Dokument des Schreckens», sagt Schmidt. Gleichzeitig aber auch hochinteressant mit Blick auf dessen Persönlichkeit: «Er wirkt sehr unsicher, scheint nach Bestätigung zu suchen.» Derzeit gibt es laut den Ermittlungsbehörden keine Hinweise darauf, dass der Mann Teil eines rechtsterroristischen Netzwerks ist.
Vor seiner Tat tauchte er weder auf dem Radar der Polizei noch des Verfassungsschutzes auf. Ein Versäumnis? Schmidt relativiert: «Seit den Schreckenstaten des NSU-Netzwerks ist es gelungen, eine ganze Reihe ähnlicher Gruppen rechtzeitig zu entdecken.»
Der Ermittlungserfolg hat eine Kehrseite. Denn er hängt auch damit zusammen, dass die rechtsextreme Szene in Deutschland zusehends selbstbewusst und gewaltbereit auftritt. Auch, weil die Politik die Grenzen des Sagbaren verschiebt?
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann bezeichnete «einige Vertreter» der rechtspopulistischen AfD am Donnerstag als «geistige Brandstifter». Dabei zielte er direkt auf den Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke. «Er ist einer dieser geistigen Brandstifter, wenn es darum geht, Antisemitismus im Land zu verbreiten.» CDU-Politikerin Karin Prien schloss sich der Kritik an:
Bereitet die Rhetorik von AfD-Politikern tatsächlich den Boden für braunes Gedankengut? «Ich sehe diese Gefahr auch», sagt der Terrorexperte. Schmidt diagnostiziert aber auch eine «allgemeine Verrohung der politischen Debatte» in Deutschland, die sich auch in den sozialen Medien offenbare.
Unverhohlen würden ausländerfeindliche und offen antisemitische Botschaften verbreitet: «Ich frage mich, was das mit Menschen macht, die Hass in sich tragen und bereit sind, ihre Positionen mit Gewalt durchzusetzen?»
Zum rechtsextremen Repertoire gehören Verschwörungstheorien über die angebliche Macht des Weltjudentums; oder dass die Bundesregierung mit ihrer Asylpolitik einen «Bevölkerungsaustausch» anstrebe.
Die kruden Theorien kursierten nicht mehr nur in einer abgeschlossenen Szene, warnt der Journalist: «Ich fürchte, dass solche Thesen in einem kleinen, aber viel zu grossen Teil der Gesellschaft Anhänger finden.» Es brauche nun gesamtgesellschaftliches Engagement, um das Übel an der Wurzel zu packen.