- Die dreitägige Staatstrauer geht zu Ende, die Präsident Abdel Fattah al-Sisi nach dem verheerenden Anschlag auf eine Moschee im Nordsinai verhängt hatte.
- Über 300 Menschen wurden dabei getötet. Doch wie war eine solche Kommandoaktion überhaupt möglich, und warum zeigt Ägyptens «Krieg gegen den Terror» keine Wirkung?
- Antworten liefert ein Besuch in Ismailia: In der Stadt am Suezkanal hat unser Nahost-Korrespondent Flüchtlinge aus dem Nordsinai getroffen.
Jussef rückt die Stühle zurecht. Vor dem beigen Sozialwohnungsblock steht ein blauer Polizeiwagen mit aufgesetztem Maschinengewehr. Ganz zu trauen scheinen die ägyptischen Sicherheitskräfte der Lage nicht – auch hier, gut einhundert Kilometer entfernt von den Wirren im Nordsinai. «Die Dschihadisten operieren im Gebiet von Sheikh Zuweid, nahe an der Grenze zum Gazastreifen über el-Arisch und neuerdings auch bis nach Bir el-Abed», sagt der Flüchtling.
Unser Gespräch fand vor ein paar Wochen statt. Im Rückblick klingt es prophetisch. Bir el-Abed ist der Ort, wo ein bewaffnetes Kommando am letzten Freitag betende Gläubige zu Hunderten tötete. Es gibt keine unabhängigen Beobachter, das Gebiet ist seit Jahren militärische Sperrzone. Ägyptische Medien, die anders über den Konflikt im Nordsinai berichten als das Regime vorschreibt, machen sich strafbar.
Jussef und Mina und ihre beiden Kinder sind koptische Christen und seit Februar Flüchtlinge. Vermummte Gestalten machten damals Jagd auf Christen. Nach sieben Bluttaten in weniger als drei Wochen packte die Familie ihre Sachen. Viele andere mit ihr.
Doch der Extremismus der Dschihadisten trifft genauso Muslime. Der Anschlag auf die sunnitische Sufigemeinde von Bir el-Abed macht es erneut deutlich. Bekannt hat sich niemand dazu. Mehrere militante Gruppen haben sich explizit distanziert. Nicht aber jene grosse Gruppe von Aufständischen, die sich vor drei Jahren der Dschihadistenmiliz IS anschloss.
«Selbst in den Strassen der Hauptstadt el-Arisch können sich die vermummten Extremisten noch immer frei bewegen», sagt Jussef. Erst vor ein paar Tagen sei wieder einer aus dem Auto gezerrt und am helllichten Tag erschossen worden.
Wie konnte es soweit kommen?
Der Nordsinai ist peripheres Wüstengebiet und Stammesland, darin vergleichbar den Zonen, in Irak und Syrien, in denen sich der IS einnisten konnte. Es gab stets Waffen und Menschenschmuggel hier an der Grenze zum Gazastreifen.
Die Beduinenstämme klagen aber auch seit Jahrzehnten über wirtschaftliche Vernachlässigung und staatliche Repression. Dabei sind die Stämme keine Einheit, das könnte die Regierung eigentlich zu ihren Gunsten nutzen.
Die Dschihadisten sind heute schwächer als vor drei Jahren. Gerade aus der Schwäche heraus greifen sie vermehrt zu Anschlägen.
Khaled Okasha ist Sicherheitsexperte in Kairo und steht dem Regime nahe. Der ehemalige Polizeioffizier räumt ein, dass die Hintergründe des Konflikts kompliziert sind. Aber die Regierung habe durchaus ihre Erfolge vorzuweisen: «Die Dschihadisten sind heute schwächer als vor drei Jahren», sagt Okasha. Gerade aus der Schwäche heraus würden sie mehr zu Anschlägen greifen.
Einen Wendepunkt sieht Okasha im Sommer 2015, damals versuchten die Dschihadisten, das Städtchen Scheikh Zuweid vollständig zu übernehmen. Die Armee antwortete mit schwerem Gerät, und sie habe den Terroristen damals eine nachhaltige Niederlage zugefügt.
Regimekritische Sinaiexperten sehen dasselbe Ereignis eher als Illustration für das Versagen dieser Armee. Sie beschiesse Wohngebiete mit Artillerie und aus der Luft, operiere mit Kollektivstrafen, zerstöre Häuser, kappe die Infrastruktur und stellte ganze Sippen unter Generalverdacht. Das schüre eher noch die Wut, so die Kritik.
Die Ereignisse von Scheikh Zuweid hätten auch gezeigt, wie wenig in diesem Krieg gegen den Terror wendige Spezialeinheiten zum Einsatz kämen, wie sehr die Armee noch immer auf konventionelle Kräfte setze. Ausserdem belege der verheerende Anschlag, wie wenig Wirkung die militärische Aufklärung habe, obwohl selbst der israelische Geheimdienst die Ägypter mit präzisen Informationen über die Grenze hinweg versorge, betonten die Kritiker.
Angesprochen auf das Vorgehen der Armee bleiben die Flüchtlinge von Ismailia wortkarg. Auch die Soldaten und Polizisten selbst seien direkt im Visier der Extremisten, sagt Mina nur. Sie möchte eigentlich zurück nach el-Arish, dort hat die Familie ihr Geschäft, ihre ganze Existenz zurückgelassen. Aber sie sieht nicht, wie das angesichts der Zustände bald wieder möglich wäre. Jussef ihr Mann will nur noch weg, weit weg, irgendwo ins Ausland, wo er sich bessere Perspektiven für seine Familie erhofft.