In der Walking-Street, dem Rotlichtviertel Pattayas, wo sonst eine Bar die nächste übertönt, hört man an diesem Abend nur das Klacken von Annas Stöckelschuhen auf dem Pflaster. Die Bars sind geschlossen, die Lichter ausgeschaltet. «Zu vermieten» steht auf vielen Türen und Fenstern.
Die Walking-Street gleicht jetzt einer Strasse der Toten. Und Pattaya, die Stadt, die niemals schläft, liege nun bereits um acht Uhr abends im Tiefschlaf, sagt Anna. Die 34-jährige transgender Thailänderin kam vor zehn Jahren hierher mit dem Traum, Tänzerin zu werden.
Stattdessen wurde Anna Prostituierte. Sie blieb, denn während sie in der Fabrik umgerechnet 180 Franken pro Monat verdiente, machte sie vor der Pandemie mit Sexarbeit bis zu 6000 Franken monatlich.
Das habe sich im vergangenen Jahr radikal geändert. Sie habe keine Kundschaft mehr – und online welche suchen, wolle sie nicht. «Es macht mir Angst, wenn ich nicht weiss, wer mich erwartet.»
Auch die 42-jährige Dokdao, die seit 20 Jahren als Prostituierte in Pattaya arbeitet, kommt kaum mehr über die Runden. Sie gehe nun vermehrt am Strand spazieren, um Männer zu finden, sagt sie. Ausserdem habe sie ihre Preise halbieren müssen. «Manchmal mache ich es auch für noch weniger», fügt sie an.
Zehn Franken verlangt Dokdao jetzt für eine halbe Stunde. Das reiche nicht zum Überleben. Während sie früher ihre Familie unterstützt habe, müsse ihr jetzt ihr Sohn Geld schicken, sagt die Mutter von fünf Kindern.
Keine Hilfe vom thailändischen Staat
Die meisten Prostituierten sind inzwischen zu ihren Familien in ihre Dörfer zurückgekehrt, wo das Leben billiger ist. Für die, die in Pattaya ausharrten, sei es dagegen extrem hart geworden, sagt Surang Janyam, die Direktorin von «Swing». Die Organisation unterstützt Prostituierte bei gesundheitlichen Problemen und verteilt jetzt Nahrungsmittel an die Sex-Arbeiterinnen und -Arbeiter.
Weil die Prostitution in Thailand eigentlich illegal sei, hätten die Prostituierten schon vor der Pandemie nirgendwo Schutz suchen können, wenn sie von Kunden geschlagen oder misshandelt wurden, sagt Janyam. «In der Pandemie bedeutet es, dass sie auch keine keine Hilfe von der Regierung bekommen.»
Die «grosse Lüge» Thailands
Dass die Regierung Prostitution noch immer nicht legalisiert habe, sei lächerlich, findet Anna: «Es ist wie eine grosse Lüge.» Die Bars seien legal, aber die, die darin arbeiten, seien illegal. «Und das, obwohl wir Sex-Arbeiterinnen jedes Jahr Milliarden von Thai Bath verdienen und viele Touristen ins Land locken.»
Die meisten Prostituierten hätten ihre Ersparnisse inzwischen aufgebraucht und sich verschuldet, fährt Anna fort. Einige seien bereits obdachlos und schliefen am Strand. Dass die ausländischen Freier bald zurückkommen, glaubt sie nicht. Das mache sie zwar traurig, aber immerhin habe sie, anders als viele andere, vorgesorgt.
Weil alles in dieser Welt ein Ablaufdatum habe, habe sie schon immer Geld zur Seite gelegt und damit ein Haus und ein Stück Land in ihrem Dorf gekauft, sagt Anna. «Dort werde ich mich in ein paar Jahren zur Ruhe setzen und ein ruhiges Leben führen.»