Seit Monaten gehen immer wieder Zehntausende auf die Strasse, um für demokratische Reformen und den Rücktritt des Ministerpräsidenten Prayut Chan-o-cha, weniger Einfluss des Königshauses auf die Regierung und eine Überarbeitung der Verfassung zu demonstrieren. Und das trotz Corona-Versammlungsverboten und Repressalien. SRF hat mit Mathias Peer gesprochen, der als freier Journalist in Bangkok arbeitet.
SRF: Die Regierung versucht, Social-Media-Kanäle zu blockieren. Ist man das in Thailand gewohnt?
Mathias Peer: Die Situation in Thailand ist seit Jahren nicht besonders demokratisch. Der aktuelle Regierungschef Prayut Chan-o-cha kam 2014 in einem Militärputsch an die Macht. Seit dem hat Thailand viele verschiedene Arten von Repressalien erlebt, die sich gegen Regimekritiker und Regimekritikerinnen richten. In Zeiten von grossen Kundgebungen gegen die Regierung, ist das Blockieren der Social-Media-Kanäle ein Mittel, auf das sie gerne zurückgreifen möchte.
Die Masse ist gestern in Richtung Regierungsgebäude gezogen. Wie sind die Proteste am Abend verlaufen?
Die Demonstrierenden haben eine ihrer Hauptforderungen vorgebracht, nämlich den Rücktritt des Premierministers. Innerhalb von drei Tagen soll er seinen Rücktritt einreichen. Würde dies nicht geschehen, setze man die Kundgebungen fort.
Corona-Versammlungsverbot, Festnahmen – neulich wurden von der Polizei Wasserwerfer eingesetzt. Und die Proteste dauern trotzdem weiter an?
Je härter die Regierung gegen die Demonstrierenden durchgegriffen hat, umso grösser war der Zulauf an den Kundgebungen an den Tagen danach. Die Eskalation hat ungefähr vor einer Woche begonnen, als die Regierung eine Notstandsverordnung über Bangkok verhängt hat. Diese hat sämtliche Proteste verboten und führte zu Festnahmen.
Heute Morgen hat die Regierung die Notstandsverordnung nach einer Woche wieder aufgehoben. Somit hat die Regierung keine juristische Möglichkeit mehr, aufgrund der Notstandsverordnung friedliche Demonstrierende festzunehmen. Das könnte man als Gesprächsangebot der Regierung werten. Der Ministerpräsident hat sich gestern auch in einer Fernsehansprache geäussert und sagte, er wolle der erste sein, der deeskaliere. Allerdings ging er bisher nicht auf die Forderungen der Demonstrierenden ein.
Es gibt ein strenges Majestätsbeleidigungsgesetz – bei Verstössen kann das Urteil bis zu 15 Jahre Gefängnis lauten.
Also ist es in Ihren Augen eher ein Angebot als ein Eingehen auf die Forderungen?
Ja, absolut. Einen Rücktritt hat der Premierminister ausgeschlossen. Die Monarchie ist ein Thema, das seit Jahrzehnten nicht öffentlich diskutiert wurde, weil es ein strenges Majestätsbeleidigungs-Gesetz gibt – bei Verstössen kann das Urteil bis zu 15 Jahre Gefängnis lauten. Das Tabu, über das Königshaus zu sprechen, haben die jungen Demonstrierenden nun gebrochen und fordern, dass das Königshaus in Zukunft weniger Einfluss auf die Politik im Land haben soll. Die Regierung und das Königshaus haben bisher keine Bereitschaft gezeigt, darauf einzugehen.
Trotz Gesprächsangebot seitens der Regierung: Womit rechnen Sie, beruhigt sich Lage demnächst oder droht das Gegenteil?
Das Angebot ist ein positives Zeichen, da die Regierung zumindest in ihrer Wortwahl auf Deeskalation setzt. Der Blick in die Vergangenheit Thailands gibt aber Grund zu Pessimismus: Beispielsweise gab es 2010 einen blutigen Protest, bei dem fast 100 Menschen durch die Regierung gestorben sind. Es kann also immer wieder umschlagen, die Gefahr einer gewaltsamen Eskalation ist vorhanden.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.