Bangkok ist orange. Der Osten ist orange. Auf den Karten und in den Tabellen der Wahlanalysen: überall orange. In vielen Bezirken des Landes geschieht an diesem Sonntag etwas, was niemand erwartet hat: Junge Kandidatinnen und Kandidaten, viele Frauen, oft unter 30, übernehmen Parlamentssitze von älteren Herren mit Schnurrbärten und in Uniform. Sie tragen orange, die Farbe von «Move Forward», der neuen, progressiven Reformpartei in Thailand. Es ist eine Watsche fürs Establishment.
Einen «Erdrutschsieg» hatte eigentlich die Partei «Pheua Thai», die letzte Inkarnation des Thaksin-Lagers, vor den Wahlen erwartet und erhofft. Den Erdrutschsieg gab es nun für «Move Forward»: 151 Sitze im Parlament erhält die Partei, «Pheua Thai» kommt auf 141 Sitze. Damit haben die beiden Parteien im Parlament mit 292 von 500 Sitzen die Mehrheit.
Eine überdeutliche Nachricht
Die Nachricht ist überdeutlich: Eine Mehrheit der Thailänderinnen und Thailänder will nicht mehr von autoritären, alten Herren in Uniform regiert werden, die sprechen wie ihre Grosseltern. Sie wollen von Pita Limjaroenrat regiert werden, dem 42-jährigen Premierministerkandidaten von «Move Forward» – ehemaliger Startup-Chef, präsent auf Tiktok.
Seine Partei «Move Forward» ist erst zwei Wahlen alt. Die Partei will das politische System von Thailand umkrempeln. Sie will nicht die Regierenden austauschen, sondern das politische Fundament neu bauen. Das Militär soll zivil kontrolliert, die politische Macht dezentralisiert, die Konglomerate und Monopole in der Wirtschaft destabilisiert werden. Die Partei will den Paragrafen 112, das Majestätsbeleidigungsgesetz, abschaffen.
Unbehagen der Eliten
Dass in Thailand die demokratischen Parteien die Wahlen gewinnen, ist nichts Neues. Dass die traditionellen Eliten sie am Regieren hindern, ebenfalls nicht. Dass sie auch an diesem Sonntag wieder gewinnen werden, war vorauszusehen. Doch die Resultate sind überraschend deutlich: «Pheua Thai» und «Move Forward» erhalten zusammen 60 Prozent der Stimmen.
Das löst bei den traditionellen Eliten Unbehagen aus. Die Partei rund um den jetzigen Premierminister und ex-General Prayut Chan-o-cha hat Ängste vor den neuen Kräften geschürt und vor allem eins versprochen: so weiter wie bisher. Das will kaum jemand. Weite Teile der Gesellschaft denken, dass Thailand die letzten neun Jahre unter ihm nur stagniert hat.
Votum kann schlecht übergangen werden
Nun steht die Frage im Raum: Lassen die traditionellen Eliten die Wahlgewinner auch regieren? Das Wahlsystem hat die ehemalige Militärjunta selbst geschrieben. Im Senat sitzen 250 militärfreundliche Senatoren. Sie wählen zusammen mit dem Parlament den Premierminister. Das oberste Gericht und die Wahlkommission haben in der Vergangenheit oft als verlängerter Arm der Eliten gehandelt und nicht als unabhängige Institutionen. Experten sagen: «In der Thai-Politik ist alles möglich.» Hier und dort tauchen die ersten Gerüchte über einen nächsten Coup auf.
Doch das Votum der Stimmberechtigten für einen Wandel ist überdeutlich. Es weiterhin einfach zu ignorieren, ist gefährlich: Die Gesellschaft hat sich in die letzten zwanzig Jahren grundlegend verändert. Das sollte die Politik mittelfristig auch abbilden. Denn eine Kluft zwischen Machthabern und Bevölkerung hat in der Geschichte Thailands oft zu gewaltsamen Konflikten geführt.