Die Tötung des hochrangigen iranischen Generals Soleimani hält die Welt in Atem. War dieser Angriff der USA ein Verstoss gegen das Völkerrecht? Oliver Diggelmann, Professor für Völkerrecht an der Universität Zürich, sagt, es komme darauf an, ob es sich dabei um Selbstverteidigung handelt. Vergeltungsschläge seien aber grundsätzlich nicht erlaubt.
SRF News: Iran spricht von einem Akt des Staatsterrorismus, US-Präsident Donald Trump sei ein Terrorist. Was ist an diesem Vorwurf dran?
Oliver Diggelmann: Gemeint ist nicht Terrorismus im herkömmlichen Sinn, sondern dass sich die US-Regierung jenseits des internationalen Rechts bewege. Das muss man aber näher anschauen, denn hört man sich die Begründungen an, argumentiert die US-Regierung durchaus völkerrechtlich.
Durch diese Tat habe das Leben von US-Bürgern geschützt werden können, hiess es. Legitimiert präventive Selbstverteidigung die Gewalt?
Unter bestimmten Umständen, ja. Eine klassische Form zulässiger präventiver Selbstverteidigung ist Israels Angriff auf Ägypten und Syrien im Sechstagekrieg 1967. Die ägyptischen und syrischen Flugzeugmotoren liefen damals praktisch schon, es war nur noch eine Frage von Stunden bis zum Angriff. Die USA wollen nun ein weitergehendes Selbstverteidigungsrecht.
Bereits die Entstehung einer grossen Gefahr zu verhindern, also nicht bloss den Angriff abzuwehren, ist etwas anderes.
Doch bereits die Entstehung einer grossen Gefahr zu verhindern, also nicht bloss den Angriff abzuwehren, ist etwas anderes. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Doktrin der «preemptive Strikes», die keineswegs neu ist. Man denke an den Angriff der USA und ihrer Verbündeten auf den Irak 2003. Vom Irak ging damals auch keine unmittelbare Angriffsgefahr aus.
Die USA argumentieren auch mit Vergeltung. Aus ihrer Sicht haben sie einen Terroristen umgebracht. Wann ist Vergeltung völkerrechtskonform?
Die Antwort ist hier ganz einfach, nämlich nie. Im Rahmen der Sicherheitsarchitektur der UNO-Charta ist einerseits Selbstverteidigung in ganz engem Rahmen erlaubt. Andererseits ist Gewaltanwendung dann zulässig, wenn der Sicherheitsrat sie autorisiert. Ein Beispiel ist der Einsatz von Luftstreitkräften im libyschen Bürgerkrieg im Jahr 2011.
Die USA haben im Irak Truppen stationiert. Es gibt also eine grundsätzliche Zustimmung zu militärischen Aktionen der USA in dem Land. Fällt darunter auch die Tötung von Soleimani?
Die Antwort ist auch hier klar: Nein. Die Truppen sind zur Bekämpfung des sogenannten Islamischen Staates im Land und nicht des Iran respektive der mit Iran alliierten Milizverbände. Die USA haben mit der Erlaubnis zur Stationierung keinen Blankoscheck zur Gewaltanwendung erhalten.
Die USA drohen Irak mit Sanktionen, sollte das Land die US-Truppen aus ausweisen. Kann er das oder darf Irak das Mandat beenden?
Trump hat diese Drohung vergleichsweise unspezifisch vertwittert. Doch einerseits darf der Irak die Erlaubnis zurücknehmen. Und andererseits haben die USA durchaus legale Möglichkeiten, den Irak mit Sanktionen zu treffen, etwa indem sie Handelspartner des Irak von den US-Märkten ausschliessen.
Die Zerstörung wertvoller Kulturstätten ist nicht nur eine Verletzung des Völkerrechts, sondern sogar ein Kriegsverbrechen.
Trump warnte, sollte Teheran zurückschlagen, werden die USA 52 Ziele im Iran angreifen, darunter wichtige zivile Kulturstätten. Ist das zulässig?
Die Zerstörung wertvoller Kulturstätten ist nicht nur eine Verletzung des Völkerrechts, sondern sogar ein Kriegsverbrechen.
Und die Drohung damit ist auch schon ein Verstoss?
Die Androhung von Gewalt ist ebenfalls eine Verletzung des Völkerrechts. Sie ist mit dem Gewaltverbot der UNO-Charta nicht vereinbar.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.