Für unabhängige russiche Journalistinnen und Journalisten ist es praktisch unmöglich geworden, in ihrem Land zu arbeiten. Mit dem kürzlich eingeführten drakonischen Mediengesetz drohen ihnen bis zu 15 Jahre Haft, wenn sie schon nur das Wort «Krieg» gebrauchen.
Viele von ihnen haben Russland deshalb verlassen. Christian Mihr von der deutschen Sektion Reporter ohne Grenzen beschreibt, wie seine Organisation ihnen helfen will.
SRF News: Welche Journalisten kehren Russland derzeit den Rücken?
Christian Mihr: Die unabhängige Medienlandschaft in Russland ist zusammengebrochen. Seit drei Wochen ist unabhängiger Journalismus in Russland unmöglich geworden, komplette Redaktionen verlassen das Land. Viele der Betroffenen verliessen Russland praktisch über Nacht, nachdem das repressive Mediengesetz verabschiedet war.
Unabhängiger Journalismus in Russland ist unmöglich geworden.
Sie reisten meist in jene Länder, in welche russische Staatsbürger das ohne Visum tun können: Armenien, Georgien oder die Türkei. Viele von ihnen, so erfahren wir, wollen nach Westeuropa weiterreisen, darunter oft nach Deutschland. Wichtig dabei ist: Die Journalistinnen und Journalisten versuchen, im Exil weiterzuarbeiten.
Russland zensuriert auch das Internet sowie die westlichen sozialen Netzwerke. Wie gehen die russischen Journalisten damit um?
Der russische Journalismus muss sich neu erfinden – etwa in Formaten auf dem Netzwerk Telegram, das zwar schon immer wichtig war, inzwischen aber zu den wenigen unzensierten Medienkanälen in Russland gehört. Auch andere, unzensierte Plattformen werden genutzt. Es geht dabei auch darum, Zensur-Umgehungsmöglichkeiten für Russen bekanntzumachen, die im Land bleiben, sich aber unabhängig von der Propaganda informieren wollen.
Die massive Medienzensur ist in den letzten zwei Jahren vorbereitet worden.
Dabei kam die Verschärfung der Zensur nicht über Nacht – die massive Ausweitung der Zensur im Web, aber auch bei den TV-Stationen, Radios oder Zeitungen ist in den letzten zwei Jahren vorbereitet worden. Es gab immer schärfere Gesetze, darunter jenes «gegen ausländische Agenten».
Wie können die russischen Journalisten aus dem Ausland über Russland berichten, wenn sie nicht mehr vor Ort recherchieren können?
Die Recherche wird sicher schwieriger. Wichtig ist dabei, dass die Journalisten auf sicheren Kommunikationswegen mit Menschen in Russland sprechen, etwa über verschlüsselte Messenger – nicht, dass die Quellen in Russland dann gefährdet sind.
Die Sprache veändert sich in Richtung jener Sprache zu Sowjetzeiten.
Gleichzeitig verändert sich auch die Sprache des neuen russischen Journalismus: Sie geht in Richtung der Sprache zu Sowjetzeiten, bei der man viel stärker darauf achten muss, was zwischen den Zeilen gesagt wird. Das betrifft sowohl die Aussagen der Quellen als auch die schliesslich veröffentlichten Texte.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.