Eine Breakdance-Gruppe zeigt, was sie drauf hat: Die jungen Männer und Frauen wirbeln über die Tanzfläche, verbiegen sich, als wären sie aus Gummi – die Touristen sind begeistert. Wir befinden uns in der «Comuna 13». Das einstige Problemviertel ist längst eine beliebte Ausflugsdestination. An den Hauswänden: Bunte Graffitis. Der afro-kolumbianische Einfluss ist überall spürbar.
Der 27-jährige Sebastián Soler ist in der «Comuna 13» aufgewachsen. Er führt Touristinnen und Touristen aus aller Welt durch sein Quartier. «Wir sind hier in einem der gefährlichsten Viertel der 80er-Jahre. Damals war Medellín fest in der Hand von Pablo Escobar – dem berühmt-berüchtigten kolumbianischen Narco-Boss. Medellín hatte eine der höchsten Mordraten der Welt – und die ‹Comuna 13› war Escobars Viertel. Aber inzwischen ist Escobar über 30 Jahre tot. Und die ‹Comuna 13› ist heute eines der meistbesuchten Quartiere Medellíns. Hier gibt es Innovation, hier gibt es Graffiti-Kunst. Ich bin stolz auf die Entwicklung von meinem Viertel und meiner Stadt.»
Dunkle Vergangenheit
Noch Anfang der 2000er-Jahre war die «Comuna 13» Austragungsort wüster Schiessereien: Anhänger von Kolumbiens grösster Guerilla, bewaffnete Farc-Rebellen, hatten das Drogengeschäft in Medellín nach Pablo Escobars Tod übernommen. 2002 beschloss der damalige Präsident Álvaro Uribe aufzuräumen und liess die «Comuna 13» während der sogenannten «Operation Orion» mit Helikoptern und gepanzerten Fahrzeugen angreifen.
In dem Armenviertel kam es damals zu Hinrichtungen auf offener Strasse. Offiziell gelten 16 Todesfälle als bestätigt, darunter vier Militärs. Andere Quellen berichten von über 200 Verletzten und rund 70 Verschwundenen.
Inzwischen ist Medellín zur beliebten Tourismusdestination geworden, besonders seit dem Friedensabkommen der Regierung mit der Farc 2016. «Medellín ist mehr als Pablo Escobar. Medellín ist mehr, als eine Drogenstadt voll Auftragsmörder. Wir haben diese dunkle Vergangenheit, aber es gibt hier auch anderes.»
Tourismus mit Schattenseite
Es sind vor allem US-Amerikaner, Latinos und Europäer, die es heute nach Medellín zieht – wegen des angenehmen Klimas und den kolumbianischen Frauen. «Der Tourismus hat leider eine Schattenseite. Prostitution ist hier legal, viele kommen dafür hierher. Oder für Drogen. Ich kenne viele, die nur deshalb hierherkommen, dabei haben wir so viel anderes zu bieten», sagt Sebastián. In gewissen Vierteln stünden abends auch minderjährige Mädchen am Strassenrand. Sexuelle Ausbeutung von Kindern sei keine Seltenheit.
Auch Dating-Apps wie Tinder sind unter Touristen beliebt, doch nicht ohne Risiko: Immer wieder werden Ausländer in Medellín überfallen oder ermordet – von kolumbianischen Frauen, die Männer mit K.-o.-Tropfen unter Drogen setzen. Eine Betroffenengruppe auf Facebook hat bereits über 5000 Mitglieder. Allein dieses Jahr starben 38 Touristen in Medellín: vor allem Amerikaner, aber auch Kanadier, Deutsche und ein Schweizer. Ein 67-Jähriger stürzte angeblich von einem Balkon.
Tinder hat inzwischen reagiert, wie die Plattform mit Sitz in den USA auf Nachfrage mitteilt: «Wir schicken Nutzern, die Kolumbien besuchen, proaktiv eine Nachricht auf Tinder. Darin fordern wir Nutzerinnen dazu auf, ihre eigene Sicherheit zu priorisieren – zum Beispiel ihre Dates nur an öffentlichen Orten zu treffen.»
Bürgermeister will Medellín sicherer machen und warnt Touristen
Doch die toten Touristen gefährden das Bild von Medellín als sichere Reisedestination. Bürgermeister Federico Gutiérrez sieht das Problem vor allem bei den Touristen, wie er am Rande einer Pressekonferenz sagt: «Ein guter Tourist, der mit seiner Familie herkommt, um unsere Stadt zu geniessen – die Gastronomie, die Kultur, wird keine Probleme haben. Aber wer unsere Kinder und unsere Frauen gefährdet – das tolerieren wir nicht. Ausbeutung bekämpfen wir.»
Wir wollen, dass unsere Bevölkerung hier sicher leben kann. Wenn sie sicher ist, sind es auch die Touristinnen und Touristen.
Der Bürgermeister will einen internationalen Gipfel ins Leben rufen, um Menschenhandel länderübergreifend zu bekämpfen.
«Wir wollen, dass unsere Bevölkerung hier sicher leben kann. Wenn sie sicher ist, sind es auch die Touristinnen und Touristen», so Gutérrez. In Medellín setzt er auf eine Sensibilisierungskampagne mit Plakaten auf Spanisch und Englisch. Reisende, die in Kolumbien in Not-Situationen geraten, erhalten unter der amerikanischen Notrufnummer 911 Hilfe auf Englisch.
Der beste Tipp, so der Bürgermeister, sei aber immer noch sich anständig verhalten: «Wer eine schöne Nacht verbringen will – legal – ohne Risiken einzugehen, die es nicht braucht, der wird in Medellín keine Probleme haben.»
Auch wenn die Gefahren heute weniger offensichtlich sind, als in den 80ern: Eine Schattenseite hat die einstige Narco-Hochburg Medellín noch immer.