Daniela Brechbühl kann sich noch sehr gut an den 13. Januar 2012 erinnern. Die 36-jährige Bernerin befand sich zusammen mit ihrem Bruder und der Schwägerin auf der «Costa Concordia». Bilder der besagten Reise gibt es keine mehr. Dies hat einen einfachen Grund: «Als die Situation prekär wurde, haben wir die Kamera und all unsere Habseligkeiten in unserer Kabine gelassen und sind nach draussen aufs Deck gegangen.»
Glücklicherweise habe sie das Ganze relativ gut verarbeiten können, erzählt sie. «An den ersten Jahrestagen sind wir jeweils zu Dritt essen gegangen.» Dabei habe man über den Urlaub geredet, zentral für die Verarbeitung. «Die Woche hatte auch sehr viele positive Aspekte», so Brechbühl.
Aufprall hautnah miterlebt
Ein möglicher Grund, dass sie die Ereignisse gut verkraftet habe, sei gewesen, dass man das Unglück bereits früh kommen sah. «Wir sassen in unserer Koje und haben aus dem Fenster geschaut. Dabei haben wir beobachtet, wie das Schiff einen Felsen touchiert hat».
Auf dem Deck angekommen, sei die Durchsage gekommen, dass es technische Probleme auf dem Schiff gebe und man zurück ins Zimmer gehen solle. Dass das Schiff einen Felsen gerammt hatte, hätten die Wenigsten zu diesem Zeitpunkt gewusst, so die zweifache Mutter.
Zu Beginn sei alles ziemlich geordnet abgelaufen. Die Leute hätten auf dem Deck der «Concordia» auf ein Signal gewartet, um in die Rettungsboote zu gelangen. Als dieses aber kam, sei regelrecht Panik ausgebrochen, erinnert sich Brechbühl. «Als wir in einem Rettungsboot hinuntergelassen wurden, musste man uns wieder hochziehen, weil das Boot durch die Neigung des Schiffes bereits auf dem Kiel war.»
Die Havarie der Costa Concordia
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Bild 1 von 13. Die Costa Concordia vor dem 13. Januar 2012. Ein Kreuzfahrtschiff, das rund 450 Millionen Dollar gekostet hatte und bis zu 3800 Passagiere und 1100 Besatzungsmitglieder mitführen kann. Bildquelle: EPA/STR.
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Bild 2 von 13. Am Abend des 13. Januar 2012 sticht das Schiff von Civitavecchia nahe Rom aus in See. Kapitän Francesco Schettino will sie so nah wie möglich an die Insel Giglio bringen, um den Hafen zu «grüssen». Das geht schief: Das fast 300 Meter lange Schiff schrammt unter Wasser einen Felsen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 13. An Bord befinden sich mehr als 4200 Menschen. 32 Menschen verlieren bei dem Unglück ihr Leben. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 13. Die kleine italienische Insel Giglio liegt nur wenige Kilometer vor der Westküste des Landes, östlich von Korsika und südöstlich von Elba. Bildquelle: srfnews.
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Bild 5 von 13. Ein Bild, das um die Welt geht: die Costa Concordia, in Schräglage und halb versunken, vor Giglio. 613 Tage lang wird das einst stolze Schiff vor der Insel liegen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 13. ...und das nur wenige dutzend Meter vom Ufer der Insel entfernt. Bildquelle: Reuters/Max Rossi.
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Bild 7 von 13. Schnell gerät Kapitän Francesco Schettino in den Fokus der Ermittler. Der damals 51-Jährige wird vor allem dafür kritisiert, das Schiff noch während der Evakuierung verlassen zu haben. In Erinnerung bleibt, wie ihn der Einsatzleiter der Küstenwache am Telefon auffordert, auf das Schiff zurückzukehren: «Gehen Sie an Bord, verdammt noch mal!». Bildquelle: Keystone.
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Bild 8 von 13. Schettino muss sich in der Folge vor Gericht verantworten (die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2013). Er sitzt derzeit in Rom eine Haftstrafe von 16 Jahren ab, zu der er 2017 letztinstanzlich verurteilt worden ist. Er bringt seinen Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der sich aber noch nicht damit befasst hat. Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 13. In monatelanger Arbeit wird das Schiff unterdessen zur Aufrichtung vorbereitet. dazu werden Tanks an den Seiten angebracht, die mit Wasser oder Luft gefüllt werden können, je nach Bedürfnis. Bildquelle: Reuters/Alessandro Bianchi.
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Bild 10 von 13. Während zweier Sommer prägt das vor Giglio auf der Seite liegende Schiff das Bild der Ferieninsel. Bildquelle: Reuters/Alessandro Bianchi.
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Bild 11 von 13. Schliesslich wird das Schiff knapp zwei Jahre nach dem Unfall, im September 2013, in einer mehrstündigen Aktion aufgerichtet und zum Abtransport bereit gemacht. Bildquelle: Keystone.
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Bild 12 von 13. Nach dem Aufrichten wird das ganze Ausmass der Schäden an der Costa Concordia sichtbar. Bildquelle: Keystone.
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Bild 13 von 13. Im Sommer 2014 schliesslich wird die Costa Concordia in den Hafen von Genua geschleppt – und dort verschrottet. Bildquelle: Reuters/Alessandro Bianchi.
Glück im Unglück
Zu dritt seien sie anschliessend quer durch die Gänge des Schiffes gerannt, während sich die «Concordia» immer mehr zur Seite neigte. Mit bedrückter Stimme erzählt die 36-Jährige von der sogenannten ‹Todeszone›: «Im Nachhinein haben wir erfahren, dass durch die Strömung im Wasser viele Leute, welche nicht mehr auf dem Schiff waren, ums Leben gekommen sind. Ein paar Meter weiter oben zu sein auf dem Schiff hat uns das Leben gerettet.»
Zwei Jahre nach dem Unglück war ich erneut auf einer Kreuzfahrt.
Irgendwie habe man es schliesslich geschafft, zuoberst auf das Schiff, also der Querseite, zu gelangen. Von dort wurden die drei via Rettungsleiter und Rettungsboot gerettet und an Land gebracht. Von ganz oben habe man zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal die Insel Giglio gesehen.
«Man muss abschliessen können»
Zehn Jahre sind nun vergangen seit dem Unglück. Die Liebe zu Kreuzfahrten aber ist geblieben. «Zwei Jahre nach dem Unglück war ich erneut auf einer Kreuzfahrt», erzählt sie mit einem Lächeln. Diese Art zu Reisen sei faszinierend.
Was hat sie aus dem Unglück gelernt? «Ich sollte mich nicht mehr über Kleinigkeiten aufregen. Das alles hätte viel schlimmer enden können.» Das Unglück habe sie glücklicherweise nicht nachhaltig geprägt. Einzig bei ihren Kindern habe sie teilweise Angst, wenn es um Wasser und Dunkelheit gehe. An der Sammelklage gegen die Schiffsgesellschaft habe sie sich nicht beteiligt, man habe aber eine Genugtuung erhalten. Wichtig ist für Brechbühl vor allem eines: «Man muss mit dem Ganzen abschliessen können.»