Der neue US-Präsident Joe Biden bekommt nächste Woche Besuch vom neuen Ministerpräsidenten Israels, Naftali Bennett. Themen sind unter anderem der Nahostkonflikt, der Iran und die Sicherheit. Die Beziehungen der beiden Länder werden unter den neuen Regierungen wohl distanzierter, aber nicht weniger wichtig, erklärt Experte Stephan Bierling.
SRF News: Donald Trump vertrat eine sehr israelfreundliche Haltung. Wie sieht das aktuell aus?
Stephan Bierling: Trump stand aus innenpolitischen Gründen bedingungslos hinter Israel. Bei Biden wird es ein bisschen problematischer werden für Israel. Er will Amerika in die Rolle des klassischen Maklers zurückführen. Natürlich kann er nicht ungeschehen machen, was Trump an Israel weggegeben hat, etwa die Anerkennung der Golanhöhen als israelisch oder die Verlegung der Botschaft. Aber er wird doch eine deutliche Distanz eingehen, etwa bei dem Iran-Atomabkommen oder bei der Verhandlung mit den Palästinensern.
Biden sagte, er wolle sich beim Thema Nahostkonflikt neutral verhalten. Was steckt hinter dieser zurückhaltenden diplomatischen Strategie?
Trump hatte die Palästinenser völlig an den Rand gedrängt. Sie sind übergangen worden, auch dadurch, dass die Amerikaner unter Trump primär mit arabischen Staaten – mit Saudi-Arabien, Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten – verhandelt haben und die Palästinenser in den besetzten Gebieten hinten herunterfielen. Das will Biden ändern. Die Zweistaatenlösung, die Biden vorschwebt, wird in den nächsten Jahren keine Realität werden. Aber er setzt darauf, durch Vermittlung pragmatische Verbesserungen für die Palästinenser zu erreichen.
Schadet diese Zurückhaltung auf Dauer den israelisch-amerikanischen Beziehungen?
Nein, denn im Grunde hatten wir fast Sonderbeziehungen zwischen zwei sehr rechts eingestellten Parteiführern und Parteien – die Republikanische Partei unter Trump und die Likud Netanjahus. Nun werden wir eine Rückkehr zu fundamentaleren Interessen der beiden Seiten sehen. Bennett steht einer sehr heterogenen Koalition vor.
Israel ist als wichtigster Bündnispartner zu schützen, aber in der Rolle des distanzierteren Vermittlers.
Er weiss, man braucht die USA als wichtigsten Bündnispartner, der zentral für die Sicherheit Israels ist. Die langfristigen Interessen werden wieder stärker in den Mittelpunkt rücken. Diese bedeuten für die USA, sich nicht bedingungslos hinter Israel zu stellen. Israel ist als wichtigster Bündnispartner immer zu schützen, aber in der Rolle des distanzierteren Vermittlers, weil die USA daraus auch ihre Stärke und ihre Möglichkeiten, Hebel anzulegen, zieht.
Wird der Kurs Bidens von den Demokraten unterstützt?
Hinter Trump standen die Republikaner völlig geschlossen. Bei der Wählerkoalition, die Biden ins Weisse Haus gehievt hat, sieht es ein bisschen anders aus. Die Demokraten sind historisch die Pro-Israel-Partei in den USA, aber diesen Rang haben die Republikaner ihnen abgelaufen.
Biden wird versuchen müssen, der eigenen Wählerkoalition die Rückkehr in die Rolle des Maklers zu versichern – die Rolle, die Amerika traditionell ausgeführt hat.
Die meisten amerikanischen Juden wählen Biden. Aber es gibt auch Gruppen innerhalb der Demokratischen Partei, vor allem drei, vier weibliche Abgeordnete aus Minnesota, die zum Teil auch palästinensische oder muslimische Hintergründe haben, die gegenüber Israel kritisch eingestellt sind, vor allem gegenüber dem rechten Kurs von Oppositionsführer Netanjahu. Biden wird versuchen müssen, durch eine gewisse Distanzierung von Netanjahu der eigenen Wählerkoalition zu versichern, dass er wieder zurückkehrt in die Rolle des Maklers – die Rolle, die Amerika traditionell ausgeführt hat.
Das Gespräch führte Claudia Weber.