«Im Vorfeld der europäischen Wahlen hat Europa erneut den Punkt erreicht, an dem wir unsere ungarische Identität, unser christliches Erbe verteidigen müssen», sagte Orban am Sonntagabend in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation in Budapest.
Orban nannte die bevorstehenden Wahlen zum Europaparlament eine «finale Schlacht». Mit Blick auf die EU sagte der Regierungschef, die «neue Hochburg der Internationalen heisst Brüssel und ihr Mittel ist die Einwanderung». Einwanderung führe aber zu «einem Anstieg der Kriminalität, insbesondere gegen Frauen» und lasse den Virus des Terrorismus eindringen.
Orban zeigte sich besorgt über die «Umgestaltung von früher christlichen Ländern». In Einwanderungsländern entstünden «christlich-muslimische Welten», in denen der Anteil der Christen kontinuierlich schrumpfe. Einmal im Gang, könne die Entwicklung nicht umgekehrt werden.
«Ungarns Antwort» auf Bevölkerungsschwund
Derlei Töne sind nicht neu. Allerdings wartete der ungarische Regierungschef in seiner Rede auch mit einem konkreten politischen Vorhaben auf: den Bevölkerungsschwund im Land beheben.
Orbans Plan: Er will die Ungarinnen mit beträchtlichen finanziellen Anreizen dazu bewegen, mehr Kinder zu gebären. «Das ist die Antwort der Ungarn auf den Geburtenrückgang, nicht die Migration», sagte der Regierungschef.
Ungarn leidet auch an akutem Fachkräftemangel. Diesen werden Kinder, die heute auf die Welt kommen, nicht beheben können. «Das weiss auch Orban», sagt SRF-Osteuropa-Korrespondent Roman Fillinger: «Deswegen will er auch die Zahl der Krippenplätze erhöhen, damit ungarische Frauen nicht nur mehr Kinder bekommen, sondern auch mehr arbeiten.»
Den Bevölkerungsschwund und Fachkräftemangel mit mehr Zuwanderung zu lindern, steht nicht zur Debatte: «Für Orban kommt mehr Migration nicht infrage», so Fillinger.
Durchaus moderne Familienpolitik
Zwar vertritt Orban ein eher traditionelles Familienbild und sieht sich als Verteidiger des europäischen Christentums. Ihn in der Familienpolitik als konservativen Hardliner abzustempeln, sei aber zu simpel, so der SRF-Korrespondent: «Er will die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie mit diversen Massnahmen verbessern.»
Der Bevölkerungsschwund hat auch damit zu tun, dass in den letzten Jahren Hunderttausende das Land verlassen haben.
Im Jahr 2016 wies Ungarn nur 1,45 Geburten pro Frau auf. In der Schweiz sind es rund 1,5 pro Frau. Wie viele andere osteuropäische Länder leidet Ungarn unter Bevölkerungsschwund, einer alternden Bevölkerung und Fachkräftemangel: «Das hat neben dem Geburtenrückgang auch damit zu tun, dass in den letzten Jahren Hunderttausende das Land verlassen haben», so Fillinger.
In Ungarn wurde auch Kritik gegenüber Orbans Plänen laut. So verkündete etwa eine Oppositionspolitikerin bei einer Demonstration vor Orbans Amtssitz in Budapest: «Orban weiss, dass er mit Hassreden gegen Migranten die Europawahlen nicht gewinnen wird. Deshalb verteilt er jetzt Geld an Familien.»
Allerdings: Reines Wahlkampfgetöse ist Orbans Familienpolitik nicht. «Auch die Opposition weiss, dass es Massnahmen gegen den Fachkräftemangel und den Bevölkerungsschwund braucht», schliesst Fillinger.