Beobachter dürften sich fragen, ob der jüngst ins Amt gehobene neuseeländische Premierminister Chris Hipkins den Job angenommen hätte, wenn er gewusst hätte, was ihm bevorsteht. Was für eine Feuerprobe: Nur Tage nach seiner Einschwörung musste er den Einsatz gegen die grösste Flutkatastrophe der jüngeren Geschichte leiten, und jetzt fordert ihn der Wirbelsturm «Gabrielle» heraus.
Am Dienstag rief Neuseeland den nationalen Notstand aus, erst zum dritten Mal in der Geschichte der Pazifiknation. Nur das Erdbeben von Christchurch 2011, bei dem 185 Menschen starben, und während der Covidkrise hatte Wellington den roten Alarmknopf gedrückt.
Helikopter bergen Menschen von den Dächern
Hipkins hat damit zweifelsohne den richtigen Entscheid getroffen. «Gabrielle» hat die folgenschwerste Katastrophe in Jahren verursacht. Betroffen vom Wirbelsturm ist primär der Norden der Nordinsel. Starke Winde, extreme Regenfälle und Überflutungen haben vielerorts Infrastruktur beschädigt. Mehrere Dörfer sind von der Aussenwelt abgeschnitten, sie haben keinen Strom.
Auch Kommunikationswege sind unterbrochen. Menschen mussten sich vor den Fluten auf die Dächer ihrer Häuser flüchten. Helikopter versuchen sie jetzt von dort zu bergen. Das ist bei den starken Winden eine gefährliche Arbeit. Berichte über Todesfälle gibt es bisher noch nicht, aber Verletzte hat es bereits gegeben.
Was Naturkatastrophen angeht, ist Neuseeland einiges gewohnt. Christchurch und der tragische Vulkanausbruch auf White Island 2019 sind nur zwei Beispiele. Das hat zum einen mit der Geologie Neuseelands zu tun: Das Land liegt auf dem sogenannten «Ring des Feuers»zwischen zwei Erdplatten, wo Erdbewegungen und Vulkanaktivität zum Alltag gehören.
Auch sonst ist Neuseeland ziemlich wildes Wetter gewohnt. An der Westküste sorgen Stürme regelmässig für Monsterwellen. Aber dieser Sturm und die enormen Regenfälle vor nur zwei Wochen, bei denen vier Menschen starben, das sind Ausnahmen. Eskalationen, sagen Wissenschaftler.
Viele Kühe, viel Methan
Klimawandel sei nicht der Grund für den Sturm, aber er führe dazu, dass aus ihm eine monumentale Katastrophe werden kann. Neuseeländische Expertinnen und Experten warnen seit Jahren, dass es als Folge der globalen Erwärmung immer häufiger zu solchen Extremanlässen kommen wird: häufigere, folgenschwerere Wirbelstürme, Dürreperioden, Hitzewellen. Neuseeland hat in den letzten Jahren mit Massnahmen begonnen, seinen CO-2-Ausstoss zu drosseln.
Die neuseeländische Landwirtschaft als wichtiger Wirtschaftsfaktor trägt wesentlich zur Belastung des Klimas bei. Ganz besonders die Milchwirtschaft. Sie ist zwar exportorientiert und enorm gewinnbringend, vor allem für eine kleine Gruppe von Grossbauern, die den Markt dominieren. Aber die von Millionen Kühen freigegebenen Methangase sind eine Katastrophe für die Atmosphäre. Und ihre Gülle verschmutzt die Umwelt derart, dass das Baden in den meisten Bächen und Flüssen dieses laut Werbung «grünen» Landes gesundheitsgefährdend und verboten ist.
Chris Hipkins hat sich bisher im Kampf gegen Fluten und Stürme gut behauptet. Es dürfte für ihn um einiges schwieriger sein, die politisch mächtige Milchindustrie zu überzeugen, endlich ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten und ihre Kühe zum Metzger zu schicken.