- Trotz der Verhängung einer Ausgangssperre in mehreren irakischen Städten halten die gewaltsamen Proteste dort weiter an.
- Bei neuen Zusammenstössen im Süden des Irak wurden am Donnerstag weitere Demonstranten erschossen.
- Die Zahl der Opfer stieg nach neusten Erkenntnissen seit Dienstag auf mindestens 28.
Die seit drei Tagen anhaltenden Demonstrationen richten sich gegen die verbreitete Korruption, die chronischen Stromausfälle und die hohe Arbeitslosigkeit.
Die Proteste stellen eine ernste Herausforderung für die Regierung von Adel Abdel Mahdi dar, der vor knapp einem Jahr ins Amt kam. Anders als frühere Proteste scheinen sie spontan zu sein, ohne dass eine Partei dahintersteckt.
Allerdings rief der radikale Prediger Moktada al-Sadr zu einem «Generalstreik» und «friedlichen Sitzblockaden» auf. Er hatte bereits 2016 eine breite Protestbewegung in Bagdad mobilisiert.
Scharfe Munition gegen Demonstranten
Die Sicherheitskräfte setzen seit Dienstag Tränengas, Wasserwerfer und scharfe Munition ein, um die Demonstranten zu vertreiben. Allein in der südirakischen Stadt Nassirija und der umliegenden Provinz Dhi Kar wurden laut den Rettungskräften zehn Demonstranten und ein Polizist bei den Unruhen getötet.
Vier weitere starben in Amara, zwei in Kut und zwei in Bagdad. Landesweit wurden zudem mehr als 1000 Menschen verletzt.
Die Behörden verhängten in der Nacht eine Ausgangssperre für Bagdad und mehrere Städte im mehrheitlich schiitischen Südirak. Der sunnitische Norden ist bisher nicht von den Protesten erfasst.
In weiten Teilen des Landes ist das Internet unterbrochen, über das die Aufrufe zu den Protesten verbreitet worden waren.
Aussgangssperre missachtet
In der Hauptstadt Bagdad feuerte die Polizei erneut in die Luft, um dutzende Demonstranten auf dem zentralen Tahrir-Platz zu vertreiben. «Wir haben hier geschlafen, damit die Polizei den Platz nicht einnimmt», sagte ein Demonstrant, bevor er von der Polizei in eine Seitenstrasse abgedrängt wurde. In Bagdad wie in anderen Städten im Südirak setzten die Demonstranten Reifen in Brand.
Vor dem Morgengrauen gab es laut Sicherheitskräften zwei Explosionen in der Grünen Zone in Bagdad, wo viele Ministerien und Botschaften liegen. Die Grüne Zone war erst vergangene Woche von zwei Raketen getroffen worden.
Anhänger von Moktada al-Sadr hatten sie 2016 bei Protesten besetzt. Die Polizei riegelte das Gebiet, das im Juni nach 15 Jahren wieder für die Bevölkerung geöffnet worden war, inzwischen komplett ab.
Die UNO-Sondergesandte für den Irak, Jeanine Hennis-Plasschaert, traf einige der Demonstranten und rief anschliessend zu einem «direkten Dialog» mit der Regierung auf. «Die Fähigkeit, das Demonstrationsrecht zu bewahren, ist ein Zeichen politischer und demokratischer Reife», sagte sie. Der Einsatz von Gewalt schüre nur die Wut. «Es braucht dringend Deeskalation.»
Kranker Staat
Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte es in der südirakischen Grossstadt Basra heftige Proteste gegen die grassierende Korruption und Misswirtschaft gegeben. Der Irak gehört zu den ölreichsten Ländern der Welt, dennoch gibt es nur wenige Stunden Strom am Tag. Vielerorts fehlt es an Wasser.
Jeder vierte Jugendliche ist arbeitslos. Riesige Summen versickern durch Korruption. Seit der US-Invasion 2003 sollen 410 Milliarden Euro veruntreut worden sein. Die Politik wird zudem durch ein Proporzsystem gelähmt, das die Macht unter den unterschiedlichen religiösen und ethnischen Gruppen verteilt.