Der kanadische Premierminister Justin Trudeau setzt angesichts der seit Wochen anhaltenden Trucker-Proteste Sonderbefugnisse in Kraft. Er wende das Notstandsgesetz an, einschliesslich der Unterbrechung der Finanzierung, um die Proteste zu beenden, kündigte Trudeau an. Mit dem Schritt können Bürgerrechte vorübergehend ausser Kraft gesetzt werden.
«Endlich nimmt die Bundesregierung das Heft in die Hand, werden nicht wenige Kanadier sagen», sagt SRF-Auslandredaktor und Kanada-Kenner Andrea Christen. Nach rund drei Wochen Protesten hätten die Regionalbehörden von Ottawa und Ontario die Lage nicht in den Griff bekommen.
Schaden für Kanadas Wirtschaft
«Die Blockaden schaden unserer Wirtschaft und gefährden die öffentliche Sicherheit», begründete Trudeau den Schritt. «Wir können und werden nicht zulassen, dass illegale und gefährliche Aktivitäten fortgesetzt werden». Die Massnahmen würden «örtlich begrenzt sein und nur dort greifen, wo sie benötigt werden». Sie seien auch zeitlich beschränkt.
Finanzministerin Chrystia Freeland erklärte, dass sich alle Crowdfunding-Programme und die von ihnen genutzten Zahlungsanbieter ab sofort bei der kanadischen Anti-Geldwäscherei-Behörde Fintrac registrieren und verdächtige Aktivitäten melden müssen.
Man nehme diese Änderungen vor, weil diese Plattformen zur Unterstützung illegaler Blockaden und illegaler Aktivitäten genutzt würden. «Diese schaden der kanadischen Wirtschaft.»
Finanzierung der Proteste im Visier
Auch Konten von Personen, die unter Verdacht stünden, die «Freedom Convoy»-Proteste zu unterstützen, könnten ohne einen Gerichtsbeschluss vorübergehend eingefroren werden, so Freeland weiter. Darüber hinaus werde die Versicherung der an den Blockaden beteiligten Lastwagen ausgesetzt.
Die kanadischen Behörden gehen davon aus, dass etwa die Hälfte der Finanzierung der Proteste von US-Unterstützern stammt.
Das Notstandsgesetz von 1988 erlaubt es der Regierung, sich über die Provinzen hinwegzusetzen und vorübergehende Sondermassnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit bei nationalen Notfällen zu genehmigen. Erstmals nun wendet Trudeau dieses Gesetz an. Es erlaubt der Regierung etwa auch, die Blockaden durch die Polizei aufzulösen.
Trudeau geht auch ein Risiko ein
Die von Trudeau jetzt in Kraft gesetzte Anwendung des Notstandsgesetzes muss nächste Woche noch vom Parlament bestätigt werden, wo die Liberale Partei des Premiers über keine Mehrheit verfügt. «Dort wird sich zeigen, wie gross der Widerstand von rechts ist», sagt Christen.
Trudeau gehe mit dem Schritt ein politisches Risiko ein: «Trudeau macht die Krise jetzt zu seiner Krise – während er das Zepter bislang den Provinzen und der Stadt Ottawa überlassen hatte, die aber kein Mittel gegen die Proteste fanden», so Christen weiter. Der Premier werde sich daran messen lassen müssen, wie erfolgreich sein Kampf gegen die Blockaden sein wird.
Grundsätzlicher Protest an Trudeaus Politik
Die Demonstrationen hatten sich vor Wochen an den Corona-Massnahmen und Impfvorschriften der Regierung entzündet und richten sich mittlerweile gegen Trudeaus Politik im Allgemeinen, von Pandemie-Beschränkungen bis hin zur Kohlenstoffsteuer.
Im Rahmen der Proteste war unter anderem die wichtigste Handelsbrücke zwischen Kanada und den USA, die Ambassador-Bridge, versperrt worden. Die kanadische Polizei löste die Blockade am Sonntag auf. Das Stadtzentrum von Ottawa wird dagegen seit etwa drei Wochen blockiert.