Das Chaos war voraussehbar. Die Pandemie, die Proteste, die Verschwörungstheorien, ein Verbaltäter im Weissen Haus, eine nach Macht dürstende Opposition, ein Heer von Anwälten, das sich schon im Vorfeld rüstete, um jeden Briefwahlzettel anzufechten und eine Nachzählungsschlacht zu veranstalten.
Die Hoffnung, dass sich das Chaos noch verhindern lässt, entweder durch einen klaren Sieg des einen oder anderen Kandidaten, oder durch ein bisschen Geduld für den in diesem Pandemie-Jahr strapazierten Wahlprozess, hat sich zerschlagen. Den Startpfiff für das juristische Hickhack mit ungewissem Ausgang hat Präsident Donald Trump gegeben, als er seinen eigenen Sieg erklärte, wie ein Sonnenkönig, der sein eigenes Haupt krönt, und seinem Herausforderer unterstellte, er wolle seine Wiederwahl stehlen.
Das ist pure politische Taktik, ein Präventivschlag gegen eine mögliche Niederlage und ein Anschlag auf die Legitimität der US-Demokratie. Präsident Trump wartete mit seiner Ansage nicht einmal auf provisorische Resultate aus den föderalen US-Bundesstaaten, die gemäss US-Verfassung zuständig sind für die Ernennung der Elektoren und Elektorinnen.
Geschichte ohne Happy End
Wie geht es nun weiter? Die Wahlbehörden in den umstrittenen Bundestaaten werden die Stimmen weiter auszählen und irgendeinmal provisorische und schliesslich endgültige Resultate liefern. Derweil wird ein juristischer Kleinkrieg losgehen, der durch die Instanzen der US-Justiz laufen wird.
Am Ende, so die Hoffnung, wird es einen Sieger und einen Verlierer geben, und die US-Demokratie besteht den Stresstest 2020. Weil lokale Behörden und Parteien kooperieren, und die Justiz die US-Verfassung hochhält.
Aber ein Happy End wird es bei dieser Geschichte dennoch nicht geben. Denn die Hälfte der US-Wähler und -Wählerinnen wird sich betrogen fühlen, wer auch gewinnt. In der ältesten Demokratie der Welt ist offenbar das demokratische Mehrheitsprinzip nicht mehr sakrosankt.