«Hexenjagd!» – das US-Magazin «The Atlantic» zählte im August die Tweets des US-Präsidenten durch. 84 Mal verdammte Donald Trump bis dahin die Ermittlungen von Robert Mueller als «Witch Hunt». Mittlerweile dürfte der US-Präsident die 100er-Marke locker überschritten haben.
Doch schwingt nicht ein wenig Wahrheit mit? Zwar kamen die Einschläge in den letzten Monaten näher. Inzwischen müssen sich Trumps ehemaliger Sicherheitsberater, Wahlkampfhelfer und Anwalt vor Gericht verantworten.
Allen drohen mehrjährige Haftstrafen. Unter anderem wegen Falschaussagen, unerlaubter Wahlkampfhilfe und Steuerhinterziehung. «Das sucht seinesgleichen in der US-Geschichte», sagt USA-Experte Christian Lammert.
Aber: Die juristische Knochenarbeit von Sonderermittler Mueller und seinem Team konnte den Präsidenten bislang nicht ernsthaft in Bedrängnis bringen: «Die Suche nach dem rauchenden Colt dauert an», sagt Lammert.
Also doch eine «Hexenjagd»? Lammert widerspricht. Zunächst arbeite Sonderermittler Mueller nicht für die Öffentlichkeit, sondern zuhanden des Justizministeriums. Und zwar demjenigen unter Präsident Trump, das den ehemaligen FBI-Direktor mit der Klärung der Vorwürfe in der Russland-Affäre beauftragt hat. Auch unter dem Druck namhafter Republikaner.
«Es entspricht vielmehr Trumps Strategie, mit Rauchbomben um sich zu werfen.» Das Ziel der Vernebelungstaktik: Die eigene Basis bei der Stange halten und die ohnehin polarisierte US-Gesellschaft weiter spalten. «Und damit hat Trump durchaus Erfolg», sagt Lammert.
Glauben statt Wahrheit
Denn die Ermittlungen seien längst zur Glaubensfrage geworden, fernab aller Graubereiche: «Entweder wird der US-Präsident als korrupt entlarvt oder es handelt sich um eine Hexenjagd.» Die US-Medien – egal ob Pro- oder Anti-Trump – hätten daraus ein regelrechtes Geschäftsmodell entwickelt.
Eine rationale Debatte sei nicht mehr möglich, sagt der Politologe: «Die Anhänger der Republikaner und Demokraten leben in eigenen Filterblasen und erhalten komplett unterschiedliche Informationen.» Das Vertrauen in die Institutionen, dass ein unparteiisches Verfahren laufe, sei nicht mehr vorhanden: «Und das ist schlecht für eine Demokratie.»
2020 wird in den USA gewählt. Mit der Umbildung seines Kabinetts bereitet sich der US-Präsident auf seinen Wahlkampf vor. Lammert rechnet damit, dass Muellers Team seine Ermittlungen bald abschliessen könnte. Ob das Damoklesschwert auf Trump niedersaust, wird aber eine politische Frage sein.
Demokraten wie Republikaner seien «sehr nervös». Schliesslich sei ein Amtsenthebungsverfahren kein juristischer, sondern ein politischer Prozess. Den Trump durchaus überstehen könnte. Was seiner Präsidentschaftskampagne sogar neuen Schwung verleihen könnte: «Deswegen werden die Demokraten extrem vorsichtig agieren», so Lammert.
Sofern Trump keine schwerwiegenden Vergehen nachgewiesen werden können, würden die Demokraten eine andere Strategie verfolgen: Trump bis zu den Präsidentschaftswahlen «vor sich herzujagen». Das Ziel: Fortwährende Enthüllungen und Skandälchen sollen Trumps Basis schwächen.
Denn Trump sei angetreten mit dem Anspruch, den «Sumpf in Washington» trockenzulegen. Wenn die Ermittlungen nun nahelegten, dass er im Hintergrund eine unlautere Agenda betreibe, untergrabe das die Fundamente seiner Politik gegen die Elite.